Zeitphilosophie

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“Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.” [1]Lucius Annaeus Seneca, röm. Philosoph, Dramatiker und Staatsmann. Quelle: www.zitate.net

Welt ist nach Kant eine durch die menschlichen Wahrnehmungssysteme aufbereitete und geformte Realität. Zeit ist dabei die Dimension, in der sich alle Wirklichkeit und Bewegung für uns Menschen abspielt, d.h. sie ist zwar wirklich, aber nicht unabhängig von der menschlichen Anschauung und Sprache festzustellen. Was, wenn Kant wirklich recht hat? Welchen Aussagewert haben dann unsere Aussagen über die Zeit? Die Welt wäre voller Aporien.

Das zeigt, dass die Sprache – und damit die Möglichkeit der Darstellung von Zeit – sehr schnell an ihre Grenzen kommt. Zeit ist eine notwendige Bedingung des Denkens und wir Menschen können gar nicht anders, als uns alles nur zeitlich (und räumlich) vorzustellen. Zeit ist in diesem Sinne keine Gegebenheit „an sich“. Sie ist immer eine Art und Weise, wie wir Dinge, vor allem aber die Zeit, betrachten, beschreiben und schließlich aufzeichnen.

Salvador Dali verstand es glänzend, die Zeit fließend darzustellen, weil seine Uhren floßen.
Bild: RHaworth – Zeitskulptur (Ausschnitt) auf dem Wikimedia Commons. Verwendung unter den Bedingungen der Creative Commons (BY-SA).

Eine grosse Rolle spielt – vor allem beim Messen von Zeit – ihre kulturelle und gesellschaftliche Prägung, die in den Begriffen zum Ausdruck kommt. Oder bei den Formen, die eben nicht erwähnt werden. Im betrieblichen Kontext ist es schwer, sich adäquate Begriffe zu überlegen. Sie müssen im Regelfall dem lebensweltlichen Kontext entnommen werden. Ein Charakteristikum der deutschen Sprache ist die Tendenz zur Objektbildung bewegter und handelnder Ausdrücke. Hier bildet die Zeit keine Ausnahme. Hinzu kommt eine kulturelle Entwicklung, die in Europa eng mit den Vorstellungen des Christentums verknüpft ist: Der Vorstellung einer linearen Zeit als Geschichtlichkeit auf ein bestimmtes Ziel hin (Fortschritt).

Dieses tiefsitzende Kulturmuster hat natürlich Rückwirkungen auf die Vorstellungen und Idee des Menschen in der Zeit. Im Gegensatz zur objektiven Zeit mechanischer Uhren ist die (bewusst) „erlebte“ Zeit jedoch von Eindrücken und Stimmungen abhängig. Um so erstaunlicher ist es, dass in den meisten Fällen von der Zeit im Singular gesprochen wird, so, als gäbe es nur eine objektiv gültige Zeit, von der aus alle anderen Zeitformen und -erlebnisse ableitbar sind. Daraus ergibt sich die Unterscheidung von Zeit als Begriff und Messgröße sowie dessen, was sich in dieser Zeit abspielt.

Im Rahmen des Tutzinger Projekts „Ökologie der Zeit“, bei dem ich etwa 5 Jahre mitgearbeitet habe, ging es nicht um eine objektive Zeit (unabhängig davon ob diese existiert oder beweisbar ist), sondern um das, was sie ausfüllt und was sich in ihr abspielt. Um das, was wir Menschen aus ihr machen, wofür wir sie verwenden. Es geht um die enorme Vielfalt von Zeiterleben und Zeitnutzung, um die Fülle von verschiedenen Zeitformen, die man sich nutzbar machen kann – oder einfach auch nur genießen.

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Der Mensch als Getriebener der Zeit – oder als Zeittreiber?
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Anmerkungen

Anmerkungen
1 Lucius Annaeus Seneca, röm. Philosoph, Dramatiker und Staatsmann. Quelle: www.zitate.net