Ich komme wieder auf meine Magisterarbeit zurück

snowyowls - Schimpanse auf der Bank (Wikimedia unter CC 3.0 BY-SA)
Ungefähre Lesezeit (inklusive Fußnoten): 4 Minuten

In der Politikwissenschaft, Wirtschaft, Geisteswissenschaft, und natürlich der Philosophie gibt es dieses Bild: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Tief drinnen ist unsere Natur also böse. Das ist eine ziemlich unfaire Darstellung des Wolfes. Der Wolf ist schließlich ein sehr kooperatives Tier.“

Durch einen geteilten Link in Facebook stieß ich auf das Video von Frans de Waal mit dem Titel „Moral behavior in animals„. [1]Das Zitat entstammt dem deutschen Transkript, das hier aufzurufen ist. Es kommt ca. bei Minute 2 vor. Der vermeintliche Gag, dass sich nämlich ein Kapuzineraffe über einen „ungerechten“ Lohn mächtig aufregt, hat einen tiefgehenden ethologischen Hintergrund. Das war für mich der Grund, mich näher mit den Überlegungen und Ergebnissen von ihm zu befassen. Sehr interessante Interviews gibt es im Spiegel (hier und hier) und in der Zeit (hier). Eine zentrale Aussage, die mich mit meinem philosophischen Denken anspricht, ist die: „Wenn Bewusstsein bedeutet, dass man über seine eigenen Handlungen und Entscheidungen nachdenken kann, dann haben Tiere es bestimmt“ [2]Interview im Spiegel „Wir neigen dazu, uns zu überschätzen„.. Was mich daran am meisten bewegte war die Nähe, die ich zu Hans Jonas zu erkennen glaube. Dem Mann, der für mich brilliant eine Teleologie der Natur durch das Lebendige darin nachgewiesen hat.

snowyowls - Schimpanse auf der Bank (Wikimedia unter CC 3.0 BY-SA)
Nicht nur Frans de Waal kann nachweisen, dass es in der Tierwelt Kulturen gibt. Eine Erklärung via Evolutionstheorie setzt dies in meinen Augen fast voraus.
Bild (= Beitragsbild als Ausschnitt): snowyowls – Schimpanse auf der Bank. Verwendung unter den Bedingungen der Creative Commons (BY-SA) – Namensnennung und Verwendung unter gleichen Bedingungen.

Subjektivität und Innerlichkeit

Für Hans Jonas sind Subjektivität und Innerlichkeit der Organismen ein ontologisch wesentliches Datum im Sein, d.h. etwas, was von Grund auf in der „Natur“ vorkommt. Dieses wesentliche Gegebensein äußert sich durch Bedürfnisse und die damit verbundenen Interessen, Zwecke und Ziele auf organismischer Ebene. Sie sagen für Hans Jonas deshalb auch etwas über die Natur als Ganzes aus, denn „das Sein, oder die Natur, ist eines und legt Zeugnis ab in dem, was es aus sich hervorgehen läßt[3]Hans Jonas (1984): Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt: Suhrkamp, S. 136. Mit den Bedürfnissen – und der Möglichkeit der Befriedigung – kommt für Hans Jonas das Fühlen als „subjektive Innerlichkeit“ in die Welt, rückgebunden an die Leiblichkeit und organischen Zwecke. Durch Zwecklichkeit und die „Parteinahme des Gefühls“ für einen Organismus kommt es bald zum mitfühlen von Lebewesen. Bei den Menschen nun kann es zu einer ethischen Verantwortung kommen, in dem die Vernunft zu den Bedingungen der Bedürfnisbefriedigung noch einmal Stellung als etwas wertvollem im Sinne von „richtig“ oder „falsch“ nehmen kann. Neben die subjektive Seite der Moral, repräsentiert durch das Gefühl, tritt bei den Menschen die „objektive“ Seite, repräsentiert durch die Vernunft.

Die Evolution der Innerlichkeit

Nimmt die Evolutionstheorie ernst, dann ist eine Entstehung menschlicher Moral und verantwortlicher Handlungsweisen aus dem Tierreich nicht nur möglich, sondern eigentlich zwingend. Das hat Hans Jonas immer vor Augen gehabt. Und darauf kann Frans de Waal gut hinweisen mit seinen ethologischen Studien. Seine Vergleiche gehen dabei relativ weit, wie folgendes Beispiel zeigt: „Wir können zeigen, dass wesentliche Elemente menschlichen Wirtschaftsverhaltens wie Reziprozität – Gutes mit Gutem vergelten-, faires Teilen und Kooperation sich nicht auf unsere Spezies beschränken. Wahrscheinlich entwickelten sie sich bei anderen Tierarten, weil sie ihnen dieselben Selektionsvorteile bieten wie uns: Ein Individuum kann ein Optimum an Nutzen von einem anderen beziehen, ohne die gemeinsamen, für das Gruppenleben unabdingbaren Interessen zu beeinträchtigen.“ [4]de Waal, F. (2006): Tierische Geschäfte. In: Spektrum der Wissenschaft – Dossier Fairness, Kooperation, Demokratie Nr. 5, S. 73. So schreibt denn auch Richard Precht einen guten Kommentar zum „tierischen Mitgefühl“ dazu (hier) und stellt sicher zu recht fest, dass der Sozialdarwinismus in einer negativen Art bis heute Biologie und Naturwissenschaften prägt [5]„In ihrer zeitgenössischen Spielart ist die Evolution heute Globalkapitalismus. Und in den Lehrbüchern der evolutionären Psychologen geht es zu wie im Ökonomieseminar. Vom … Continue reading.

Synchronisierte Handlung, die Teil des ganzen Empathie-Mechanismus ist, ist also im Tierreich schon sehr alt.“ In diesem (englischen) TED Talk ist zu sehen, wie Frans de Waal seine Forschungergebnisse vorstellt und interpretiert. Er enthält auch den Ausschnitt mit dem Gerechtigkeits-Experiment. Und hier ist das interaktive (deutsche) Transkript dazu. [6]Das Zitat kommt im Talk bei ca. Minute 08:30 vor. Michael Tomasello kritisiert in seinem Buch „Warum wir kooperieren“ diese Interpretation aufgrund eigener Forschungen.

[ted id=1417]

 

Ethologische Wurzeln der Moral

„Das Fehlen von Beweisen ist noch lange kein Beweis für das Fehlen“ [7]a.a.O. von Empathie und moralischen Gefühlen bei höherentwickelten Tieren. Was im Fall von de Waal nicht bedeutet, die einzigartige Reflexionsfähigkeit von Menschen zu leugnen. Aber eben deutlich zu zeigen, dass die Moral von Menschen ein ethologische Wurzel im Tierreich hat. Schimpansen und Bonobos kennen zwar nicht den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant. Sehr wohl aber kennen sie nach Frans de Waal die goldene Regel [8]„Das Motto ‚Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu‘ kennen sie sehr wohl. Genau dieses Prinzip der Gegenseitigkeit halte ich, neben dem … Continue reading. Vor allem aber wären seine empirischen Studien etwas, was Hans Jonas gefallen und bestärken würde in seiner Konstruktion des Seins. Vor allem des Lebens darin – und der Entstehung von Werten und moralischem Handeln. Allerdings, und das ist mir hierbei wichtig: Nur eine adäquate Naturphilosophie kann hier klären, inwiefern die kategorialen Beschreibungen zutreffend sind. Und ob die Vergleiche tatsächlich qualitativ augewiesen werden können [9]Siehe hierzu ausgezeichntet Hans-Dieter Mutschler, beispielsweise 1996: Über die Möglichkeit einer Metaphysik der Natur. In: Philosophisches Jahrbuch 103, S. 2 – 14. München/Freiburg: Alber. Insofern fühle ich mich sehr an meine Magisterarbeit erinnert, denn das war ein Kernstück meiner Analyse von Hans Jonas. Die ich gerne weiter entwickeln, zumindest aber weiter verbreiten möchte.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Das Zitat entstammt dem deutschen Transkript, das hier aufzurufen ist. Es kommt ca. bei Minute 2 vor.
2 Interview im Spiegel „Wir neigen dazu, uns zu überschätzen„.
3 Hans Jonas (1984): Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt: Suhrkamp, S. 136
4 de Waal, F. (2006): Tierische Geschäfte. In: Spektrum der Wissenschaft – Dossier Fairness, Kooperation, Demokratie Nr. 5, S. 73.
5 „In ihrer zeitgenössischen Spielart ist die Evolution heute Globalkapitalismus. Und in den Lehrbüchern der evolutionären Psychologen geht es zu wie im Ökonomieseminar. Vom Kosten-Nutzen-Kalkül im Miteinander ist die Rede, von Investitionen in den Nachwuchs, von Risikostrategien bei der Partnerwahl“ (Precht 2008 unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-60883214.html.
6 Das Zitat kommt im Talk bei ca. Minute 08:30 vor. Michael Tomasello kritisiert in seinem Buch „Warum wir kooperieren“ diese Interpretation aufgrund eigener Forschungen.
7 a.a.O.
8 „Das Motto ‚Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu‘ kennen sie sehr wohl. Genau dieses Prinzip der Gegenseitigkeit halte ich, neben dem Einfühlungsvermögen, für das grundlegende Element derPsychologie aller Menschenaffen“ (de Waal, F. (2006): Hippie oder Killeraffe? unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-48495971.html
9 Siehe hierzu ausgezeichntet Hans-Dieter Mutschler, beispielsweise 1996: Über die Möglichkeit einer Metaphysik der Natur. In: Philosophisches Jahrbuch 103, S. 2 – 14. München/Freiburg: Alber