Demokratie im Netz – was sonst?

The Opte Project - Internet (Wikipedia unter CC 2.5)
Ungefähre Lesezeit (inklusive Fußnoten): 3 Minuten

„Im Netz regiert der Schwarm, und mit ihm nicht nur Schwarmintelligenz, sondern auch ‚Schwarmdummheit und Schwarmfeigheit‘ […] Das Netz stellt damit das Rechtssystem infrage, das auf dem Konzept des bewusst handelnden Individuums basiert.“

Alexandra Borchardt konstatiert in Ihrem Artikel in der Süddeutschen Zeitung (hier), dass der „Schwarm“ im Internet nicht nur intelligent, sondern auch dumm und feige sein kann. So weit, so banal. Sie beruft sich dabei auf eine Fachtagung zum Thema „Internet als Bereicherung oder Stressfaktor für die Demokratie?“ in Hildesheim. Ihr Schlussfazit kann ich sogar teilen, lautet es doch: „Es wird Zeit, wieder über Demokratie zu reden. Deren Institutionen müssen sich den digitalen Raum zurückerobern“. Leider hat dieses Plädoyer in meinen Augen nur am Rande mit dem Rest des Artikels zu tun, der sich in ziemlich problematischer Kulturkritik des Internet und der sozialen Medien erschöpft. Deshalb will ich etwas dazu schreiben und die Aussagen, die sich auf vorgeblich auf die spezielle Eigenarten des Internet beziehen in einen anderen, in meinen Augen passenderen Zusammenhang stellen.

The Opte Project - Internet (Wikipedia unter CC 2.5)
Ästhetisch: Das Internet als Struktur der Datenleitungen und -knoten.
Bild (= Beitragsbild als Ausschnitt): The Opte Project – Internet. Verwendung unter den Bedingungen der Creative Commons (BY-SA) – Namensnennung und Verwendung unter gleichen Bedingungen.

Und wieder mal Technikkritik

Eine besondere „Kritik basiert auf der Annahme des ignoranten bzw. irrationalen Wählers“ heißt es in Wikipedia bezüglich „irrationaler“ und „ignoranter“ Wähler (hier). Die Kritik ist altbekannt: Dass nämlich Wähler im Regelfall schlecht informiert sind – und sich oft auch nicht „rational“ informieren wollen. Für Politik interessieren sich die „normalen“ Wähler selten und wissen deshalb „auf vielen wichtigen Feldern nicht, wofür einzelne Parteien stehen“ (Wikipedia). „Menschen lassen sich durch eine über das Netz suggerierte Mehrheit beeinflussen“ schreibt nun Alexandra Borchardt. So what? Das ist nun wirklich kein Phänomen des Internet und den Einfluss von Medien kann man mindestens bei der ständigen Wiederwahl von Silvio Berlusconi in Italien studieren. Das schaffte er ganz ohne Internet – allein über seine TV und Radio Sender sowie die Zeitungen. Und dass sich eine neue Klassengesellschaft von netzaffinen (Männern) bildet, die das Medium Internet besonders nutzen ist nun auch schon fast banal. Dass dagegen arme und ungebildete – und vor allem finanziell nicht ausreichend ausgestattete – Menschen im Netz nicht vorkommen ist auch kein wirkliches Phänomen des Netzes. Die Teilhabe solcher Menschen sicherzustellen gelingt auch in den meisten Bereichen des „real life“ nicht und ist eine ständige Aufgabe der Gesellschaft.

Transparenz 1

Besonderes Augenmerk aber verdient die Diskussion um die Frage von Transparenz im Rahmen demokratischer Prozesse. „Transparenz zerstört Schutzräume der Demokratie“. Das muss man nun schon zwei Mal lesen, um den Abgrund zu erkennen. Aus der Aushebelung des Zwischenshandels, der real zum Teil zu beobachten ist, wird nun geschlossen (ich hoffe von Frau Borchardt selbst), dass, durch die „Selektion“ der Informationen durch Händler, Menschen beispielsweise vor einer Informationsüberflutung geschützt würde. Dumm nur, wenn der Händler nicht wirklich sortiert oder gar noch bevormundend die falschen Informationen weitergibt.

Transparenz 2

In meinen Augen aber der Hammer ist folgende These: Dass vollkommene Transparenz, vor allem wenn sie mit großem Zeitdruck verbunden wird, die Schutzräume, in denen Demokratie erst gedeihen könne, zerstören würde. Hier wird Transparenz tatsächlich mit Schnelligkeit und dem Erhalt von Machtpositionen verwechselt. Denn in meinen Augen können legitime Interessen – und ihre Forderung – immer transparent sein. Intransparenz schadet nicht nur, sondern macht sie meist auch illegitim. Das demokratische Austragen von Interessenkonflikten muss in jedem Fall transparent passieren. Dass politische Maßnahmen, die berechtigte Interessen befriedigen sollen, dann in der Umsetzung und konkreten Ausgestaltung Zeit und Diskussion brauchen, ist wiederum nicht wirklich banal. Aber in keinem Fall hilft hier Intransparenz bei den Aushandlungen und im Rahmen der Umsetzung. Was wiederum auch kein neues und schon gar nicht ein alleiniges Problem des Internet darstellt.

Transparenz 3

Dazu passend war die Tagung selbst nicht öffentlich?! Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass so undifferenziert wie im Artikel beschrieben argumentiert und geforscht wurde. Was wiederum ein sehr schönes und praktisches Beispiel darstellt, wie wichtig der direkte Zugang zu Informationen ist bzw. wie schnell die Vorselektion durch (Nachrichten) Händler und Redakteure schief gehen kann. Warum, mit anderen Worten, Transparenz gerade nicht schädlich für demokratische Prozesse und politische Willensbildung ist.

Nachtrag 19.04.2016

Über die sonstigen politischen Implikationen habe ich mir hier Gedanken gemacht.