Von der nachhaltigen Lehre zum nachhaltigen Lernen

Ungefähre Lesezeit (inklusive oft umfangreicher Anmerkungen in Form von Fußnoten): 16 Minuten

Nun ist es wieder passiert. Diesmal mit einem gemeinsamen Beitrag, den ich zusammen mit Rosario Costa-Schott[1]Dr. Rosário COSTA-SCHOTT ||  Hochschule München, Fakultät 11 und Gerd Mutz[2]Prof. I. R. Dr. Gerd Mutz  ||  Ehemals Hochschule München verfasst habe. Wir folgten mit dem Beitrag dem Aufruf 18/4 (117) der Zeitschrift für Hochschulentwicklung (ZfHE) mit dem Titel Nachhaltige Lehre – Nachhaltige Bildungsinstitution Hochschule. Leider wurde unser Beitrag, den wir ausdrücklich als Entwicklungsbeitrag verfasst und eingereicht hatten,[3]Hier die Beschreibung der Herausgeber, welche Kriterien ein solcher Beitrag erfüllen sollte. Er behandelt ein konkretes Problem der Hochschulentwicklung in der (eigenen) … Continue reading im Peer Review Verfahren abgelehnt. Unsere Nachfrage hat folgende Antwort bei den Beurteiler:innen ergeben:

Inhaltlich treffen Sie natürlich ein spannendes und wichtiges Thema, dennoch haben wir uns letzten Endes dagegen entschieden, weil unserer Meinung nach die theoretische Fundierung teils im Beitrag fehlt, ua. im Abschnitt, was unter „nachhaltigem Lernen“ aus Sicht der Autor:innen verstanden wird – leider listen Sie hier nur einige Aspekte auf, gehen aber nicht näher darauf ein oder besprechen dazu mögliche vorhandene Quellen. Methodenteil: hier fehlte es uns leider an genauen Angaben, wie Sie bei der qualitativen Auswertung vorgegangen sind (Beschreibung der Stichprobe, der Lehrveranstaltungen und dem auszuwertenden Material sowie der Analyse selbst).[4]Auszug aus der Mail mit der Antwort auf die genauen Ablehnungsgründe.

Es folgt also nun der eingereichte Artikel in der Originalformulierung.[5]Und an dieser Stelle unsere letzte Antwort auf den Austausch, weil wir die Ablehnung im zitierten Sinn nicht nachvollziehen konnten und auch nicht für richtig halten: „Was die theoretische … Continue reading Möge der geneigte Leser oder die geneigte Leserin selbst beurteilen, inwiefern die Ablehnung ihre Berechtigung hatte.

Das final eingereichte Dokument gibt es als PDF auf ResearchGate. Dort ist es unter dem DOI (Digital Object Identifier) 10.13140/RG.2.2.12176.99849 aufzurufen und herunterzuladen.


Zusammenfassung/Abstract

Dieser Beitrag stellt eine Reflexion auf Lehrveranstaltungen, meist an der Hochschule München, dar, die wir teilweise in Kooperation mit RCE-BenE München organisiert und durchgeführt haben. Uns ist bei der Diskussion darüber aufgefallen, dass zwar vielfach von einer Lehre der Bildung für nachhaltige Entwicklung gesprochen wird, aber selten darüber, inwiefern die daraus resultierenden Lernprozesse nachhaltig sind. Ergeben sich aus einer nachhaltigen Lehre automatisch nachhaltige Lernprozesse? Was zeichnet nachhaltige Lernprozesse aus? Zur Beantwortung dieser Fragen werteten wir Kommentare und Rückmeldungen von Studierenden der Lehrveranstaltungen aus um Hinweise darauf zu bekommen, inwiefern dieses Lernen nachhaltig war.

Auslöser dieses Beitrags

Im Wintersemester 2010 wurde an der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München[6]Wir sind als Lehrende der Fakultät in unterschiedlichen Positionen gewesen. Gerd Mutz war ordentlicher Professor, Rosário Costa-Schott und Alexander Klier Lehrbeauftragte. Gemeinsam engagierten wir … Continue reading erstmals das Thema ‚Nachhaltigkeit‘ in die Lehre aufgenommen. Es wurde als ein zusätzliches Thema in den vorgegebenen Fächerkanon und damit in ein sozialwissenschaftliches Umfeld eingefügt. Die Studierenden befanden sich mehrheitlich bereits im Hauptstudium. In dieser neuen Lehrveranstaltung sollte Nachhaltigkeit in ihren unterschiedlichen Ausprägungen und Interdependenzbeziehungen vermittelt werden.

Die Umsetzung erwies sich als unerwartet schwierig, obwohl fast alle Studierenden hoch motiviert waren, mehr zum Thema Nachhaltigkeit zu erfahren. Vor allem behinderte ein ansonsten unveränderter institutioneller Hochschul- und Fakultätsrahmen die Integration einer solchen Lehrveranstaltung. So war beispielsweise  die Hochschulorganisation in fast allen Bereichen sichtbar nicht-nachhaltig ausgerichtet; auch hatten die Studierenden wenig Gestaltungsmöglichkeiten und die abschließende Form der Seminarprüfung begünstigte eher ‚bulimisches‘ Lernen. Eigene Erfahrungen oder Handlungsfelder der Teilnehmenden blieben dabei meistens unberührt.[7]Nach unseren Erfahrungen in vergleichbaren Lehrveranstaltungen war der Spielraum für die Lehre im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung eher gegeben, wenn diese Selbststudium und … Continue reading


Bild (auch Beitragsbild): Andrea Piacquadio auf Pexels. Verwendung unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz von Pexels.
Lehren und Lernen weisen zwei unterschiedliche Handlungslogiken auf. Insofern fallen nachhaltiges Lehren und nachhaltiges Lernen nicht automatisch zusammen.

Expansives nachhaltiges Lernen

Bildung für nachhaltige Entwicklung geht davon aus, dass die Betroffenen bzw. Lernenden partizipativ an den Bildungsprozessen mitwirken können. Das gilt vor allem deshalb, weil es nicht einfach um einen Wissenstransfer geht, sondern auch um eine Bildung, die „an Kompetenzkonzepten orientiert“ ist (Bormann & de Haan 2008, S. 8). Kompetenzen wiederum müssen individuell gelernt und entwickelt werden, sie können „nicht einfach gelehrt oder vermittelt werden“ (RAU & RIECKMANN 2023, S. 25).

Kompetenzen sind auf Ziele bezogen und werden absichtlich vollzogen. Sie müssen „sich in den Handlungen des Individuums manifestieren“ (de Haan 2008, S. 30). Auch für die im Rahmen von BNE zu erwerbenden Kompetenzen gilt jedoch, dass die Umsetzung „in konkretes Handeln mehr erfordert als die Kompetenz selber“ (Herzog 2017, S. 38), beispielsweise ein Motiv. Eine „transformative“ (a.a.O.) Eine nachhaltige Lehre, wie sie daraus geschlussfolgert werden kann und die eine entsprechende Performanztheorie enthält, setzt insofern mit guten Gründen handlungstheoretisch an, „dient  mithin der Stärkung der Handlungsfähigkeit“ (de Haan 2008, S. 37).

Allerdings im Diskurs, so unsere Beobachtung, regelmäßig nicht mathetisch bei den Lernenden, als vielmehr didaktisch bei den Lehrenden. Gerade eine transformative Pädagogik macht jedoch einen Blick auf die zu initiierenden Lernprozesse und ihre Handlungslogik notwendig. Nur wenn im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung entsprechende Kompetenzen gelernt und ausgeführt werden, kann auch darauf aufbauend von einer nachhaltigen Bildung gesprochen werden.

Zwei Handlungslogiken

Ein solcher Blick macht es analytisch notwendig, Lehre und Lernen zu unterscheiden. Am Ende umfassen Lehre und Lernen nämlich sehr unterschiedliche und nicht selten disparate Vermittlungssituationen. Diese zwei Situationen sind von zwei grundsätzlichen Handlungslogiken geprägt: der Logik des Lehrens (Didaktik) auf der einen Seite und der Logik des Lernens (Mathetik) auf der anderen Seite.

Dem entsprechen auch zwei Beobachtungsstandpunkte von Lehr- und Lernsituationen: Der Standpunkt der Organisation, also der Hochschulen, bzw. der Lehrenden als Außenstandpunkt (gegenüber dem Lernen) und der (subjektive) Standpunkt der lernenden Subjekte, also der Studierenden, als Innenstandpunkt des Lernens (vgl. hierzu vor allem LUDWIG, 2016).

Naturgemäß ist der Blickwinkel der Diskussion um eine nachhaltige Lehre der von Lehrenden in der Bildungseinrichtung, hier der Hochschulen (oder Universitäten). Aus diesem Blickwinkel heraus kommt es jedoch sehr schnell zu der Annahme, dass dies zugleich ein nachhaltiger Lernprozess sei.[8]Klaus Holzkamp (1996) spricht im Falle einer Gleichsetzung von einem Lehr-Lern-Kurzschluss. „Die Tatsache, daß Lehrer das Lernen organisieren verleitet dazu, das Lernen nicht als eine Bewegung der … Continue reading Ob dem aber so ist oder nicht entscheiden am Ende nicht die Lehrenden, sondern die Studierenden in den entsprechenden Veranstaltungen.[9]Das gilt in einem übertragenen Sinn natürlich auch für die Frage der Organisation oder Institution Hochschule. Wenn es richtig ist, dass sich Bildungseinrichtungen wie Hochschulen (oder … Continue reading

Wenn zwischen Lehren und Lernen „weder logisch noch kausal eine direkte Beziehung“ (Herzog 2014, S. 139) besteht, dann gibt es hier zunächst ein tatsächliches Unwissen darüber, inwiefern Lehre nachhaltig wirksam bezüglich des Lernens sein kann. Um es an dieser Stelle noch einmal deutlich zu sagen: Wir sind nicht der Meinung, dass es nicht prinzipiell möglich ist, eine nachhaltige Lehre zu praktizieren. Ob sich daraus aber tatsächlich ein nachhaltiges Lernen ergibt kann ohne die reflexive Einbeziehung der Studierenden nicht ermittelt werden.[10]Lehrende benötigen also neben dem „Wissen über innovative Lehr-Lernmethoden“ (RAU & RIECKMANN 2023, S. 25; Hervorhebung durch die Autor:innen) auch die Fähigkeiten zur Anwendung von  … Continue reading

Ein adäquater Lernbegriff

Lernen ist in den Worten von Malte Brinkmann (2020, S. 2) ein „Entzugsphänomen“. Als solches ist es nicht direkt sichtbar. Mehr noch: Es entzieht sich oft genug auch der willentlichen Steuerung. Das gilt selbst für die subjektive Ebene der Lernenden und das Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung. Eine didaktische „Herstellungsperspektive“ von Wissen im Sinne einer Vermittlung mit nachhaltigen Lehr- und Lernnmethoden ist unter dieser Perspektive schlichtweg falsch.

Wir unterscheiden deshalb mathetische Lernprozesse gezielt und bewusst von didaktischen Lernformen oder Lernformaten. Letztere werden zwar vielfach im Rahmen der Frage, was eine nachhaltige Lehre auszeichnet, diskutiert. Doch die Lernformen liegen auf einer Beobachtungsebene, die mittlerweile im pädagogischen Diskurs als Sichtstruktur gekennzeichnet wird (vgl. dazu Trautwein, Sliwka & Dehmel 2018). Sie haben gegenüber der Tiefenstruktur nur wenig Erklärungskraft bezüglich eines wirklich nachhaltigen Lernens.

Einen adäquaten Lernbegriff, der ein nachhaltiges Lernen evozieren kann, liefert aus unserer Sicht Klaus Holzkamp. Er entwickelt seine Lerntheorie explizit handlungstheoretisch. Vor allem leitet er daraus zwei verschiedene Lernformen ab, wovon es aus unserer Sicht auf das expansive Lernen ankommt.[11]Als Gegenposition zum expansiven Lernen ergibt sich für Klaus Holzkamp defensives Lernen in Bildungsinstitutionen durch ihre vielfältigen Anforderungen, die eher selten den Lerninteressen der … Continue reading Expansives Lernen besteht nach seiner Lesart darin, dass sich die Lernenden mit guten Gründen zusätzliche Handlungsoptionen aneignen, wenn also „das Lernsubjekt selbst entsprechende Gründe dafür hat“ (Holzkamp 2004, S. 29).[12]Expansives Lernen ist in der konkreten praktischen Umsetzung von Lehrveranstaltungen nicht „empirisch-positiv“ zu erfassen. Es handelt sich hier eher um ein analytisches Instrumentarium. Genauer … Continue reading

Die Notwendigkeit nachhaltiger Lernstrukturen

Nachhaltige Lernprozesse hängen logisch und kausal nicht davon ab, dass die Lehrpersonen entsprechende didaktische Konzepte erstellen (anschaulich dazu Reinmann 2018, S. 11, These 3), und Handlungsgründe für ein nachhaltiges Lernen sind nicht, jedenfalls nicht automatisch, solche, in einer Lehrveranstaltung bezüglich der nachhaltigen Entwicklung zu sitzen, weil es beispielsweise der Regelstudienplan so vorsieht.

Der Beginn von (expansiven) Lernprozessen kann generell nicht „durch Lernanforderungen erklärt werden, die von außen auf die Lernenden gerichtet werden“ (Grell & Ludwig 2017, S. 128). Die Lerngründe müssen in den einzelnen Veranstaltungen jeweils gesondert und neu entwickelt werden, sollen sie expansiv sein. Erst expansive Lernbegründungen zielen wiederum auf eine lernende Erhöhung der Lebensqualität und gelebte Nachhaltigkeit.

Auch „die Qualität eines Lehrformats bemisst sich daran, wie dieses umgesetzt wird […] und wie gut es die gesetzten Ziele erreicht“ (Reinmann 2018, S. 10). Gelingt expansives Lernen, dann können sich die Studierenden Welt und Gesellschaft auf eine je neue Art erschließen. Das macht den expansiven Lernbegriff wiederum und prinzipiell anschlussfähig an nachhaltige (und klassische) Bildungsvorstellungen (vgl. dazu Ludwig 2005).

Wann sind Lernprozesse nachhaltig?

Der handlungstheoretische Ansatz muss also gerade für den Lernprozess gelten. Das wiederum leitet über zur Frage, wann Lernprozesse nachhaltig sind oder als nachhaltig bezeichnet werden können. Diese Frage war für uns als erstes zu beantworten, um überhaupt ein kategoriales Raster entwickeln zu können, anhand dessen eine systematische Auswertung unserer Veranstaltungen erfolgen konnte.

Wir schlagen dazu nachfolgende Aspekte vor, weil sie auf die Handlungsperspektive einzahlen. Lernprozesse sind aus unserer Perspektive dann nachhaltig, wenn sie

  • das Vorwissen und das praktische Lebensumfeld der Studierenden als Ausgangspunkt nehmen,
  • die Studierenden dabei nicht als aufzuklärende ‚Mängelwesen‘ begreifen,
  • sondern ihre Expertise in die Lehrveranstaltung mit einbeziehen,
  • dabei gemeinschaftlich echte Partizipationsmöglichkeiten schaffen und
  • sie als Peers und durch Feedback voneinander lernen lassen sowie
  • die Studierenden zu eigenen verantwortbaren Handlungen anregen und schließlich,
  • wenn sie in einem vernünftigen Verhältnis zum Aufwand stehen.

Wir hoffen, dass die Aspekte in ihrer Benennung für sich sprechen.[13]Interessant und fruchtbar wäre es sicherlich, die von uns überlegten Aspekte eines nachhaltigen Lernens mit den Teilkompetenzen der geforderten Gestaltungskompetenz einer Bildung für nachhaltige … Continue reading Zumindest können wir damit die Problematik verdeutlichen, die in einer Betrachtung nachhaltiger Lernprozesse steckt und schließlich versuchen, die zu untersuchenden Lehrveranstaltungen reflexiv auszuwerten.

Die ausgewerteten Lehrveranstaltungen

Da die Frage, ob Lernprozesse nachhaltig verlaufen, nicht unmittelbar durch Beobachtung erhoben werden kann, musste die Auswertung rekursiv-reflexiv erfolgen. Die Teilnehmenden der Lehrveranstaltungen wurden gebeten, ihre persönlichen Erfahrungen und Handlungserprobungen in Protokollen und Seminarberichten zu dokumentieren und zu reflektieren.

„Wenn wir über Nachhaltigkeit von Unterrichtsmethoden sprechen, so kann ich für mich sagen, dass das Philosophieren[14]Die Konzeption zu dieser Veranstaltung ergab sich durch das von der Eberhard von Kuenheim Stiftung und der Akademie „Kinder philosophieren“ erprobte und in einem Buch publizierte Projekt „Wie … Continue reading und dieses dahingehend offen gestaltete Seminar methodisch bei mir nachhaltig Eindruck, viele Gedanken und ich würde sagen somit einen großen Lerneffekt hinterlassen haben.“[15]Student:in

Die so entstandenen Texte dienten nicht nur der Bewertung des Seminarverlaufs sondern waren zugleich Grundlage der eigenen Reflexion der Lehre und der Re-Organisation weiterer Lehrveranstaltungen.[16]So wurden etwa Seminare zu nachhaltigem Wirtschaften oder Zukunft der Arbeit sowie Teilhabe- und Gerechtigkeitsfragen ähnlich konzipiert.

Beschreibung der Veranstaltungen aus Lehrendensicht

Die Mehrzahl der Lehrveranstaltungen wurde so gestaltet, dass sich die Studierenden mit ihren Themen und Anliegen selbst einbringen sollten. Bei den Seminaren zu wirtschaftlichen Themen etwa wurden die Studierenden aufgefordert, zum Semesterbeginn Medienberichte über wirtschaftliche Vorgänge mitzubringen, die sie aus irgendwelchen Gründen spannend fanden.[17]Dies konnten Artikel aus Print- und Online-Medien sein, ebenso wie Podcasts, TV-Beiträge oder YouTube Videos. Die Studierenden wurden aufgefordert, mit ‚ihrem‘ Nichtwissen und Nichtverstehen von … Continue reading Diese sollten in Kleingruppen mit den eigenen Lebenserfahrungen und im Hinblick auf ihren empirischen Gehalt abgeglichen werden.[18]Bei einer anderen Lehrveranstaltung wurde der ‚Arbeitsauftrag‘ folgendermaßen formuliert: „Betrachten Sie einen beliebigen Ausschnitt Ihres Alltags und erzählen Sie den anderen Mitwirkenden … Continue reading

Anschließend sollten die Teilnehmenden den weiteren Verlauf der Veranstaltung mitgestalten. Zwischen den Gruppentreffen gab es verbindliche Reflexionstermine im Plenum, in dem die Gruppenmitglieder berichteten, was sie jeweils erarbeitet hatten. Die (Gruppen-) Berichte waren in der Regel sehr kreativ und reichten von der klassischen Präsentation über selbsterstellte Videoclips bis hin zu einem Impro-Theaterstück. Während der Plenumsphase konnten auch Mitglieder anderer Gruppen und die Gruppe selbst befragt werden.

In den Gruppensitzungen spielten die Lehrenden keine, in den Plenarsitzungen eine nachgeordnete Rolle; sie bestand darin, die einzelnen Prozessschritte zu begleiten, digitale Räume zu öffnen, virtuelle Diskussionen anzustoßen oder Materialien zur Verfügung zu stellen. Sie gaben darüber hinaus Anregungen für Vertiefungen, öffneten den Blick auf benachbarte Themen oder nannten Praxisbeispiele.

„Sowohl den Ablauf und Aufbau wie auch die Führung durch die Lehrveranstaltung habe ich als sehr befruchtend und sinnvoll erlebt. Unsere Gruppe und ich selber haben von den Berichten der anderen Gruppen in jedem Fall profitiert, wir sind durch die Gespräche über die Wochen hinweg richtig zusammengewachsen.“[19]Student:in

Im obligatorischen Leistungsnachweis sollte mindestens eines der Themen, das in der Gruppe behandelt worden war, eingehender analysiert werden; vor allem aber sollte dort skizziert werden, in welcher Weise das eigene alltägliche Handeln beeinflusst wurde.

Eine Analyse der Rückmeldungen

Viele der Teilnehmenden berichteten, dass ihnen die eigenständige Wahl von Themen zunächst schwergefallen sei, weil sie von einer Lehrveranstaltung nicht erwartet hatten, dass sie selbst eigene Themen ‚mitbringen‘ sollten und dass ihr eigenes Handeln im Mittelpunkt stünde.[20]Insbesondere im Zusammenhang mit der Einführung von Studiengebühren breitete sich eine Konsumhaltung aus, die oft zu der Auffassung führte, dass das Einbringen von Themen zur (bezahlten!) … Continue reading In einigen Diskussionen wurde darauf hingewiesen, dass man im bisherigen Studium nicht gefordert wurde, sich selbst zu organisieren oder (Lern-) Abläufe zu gestalten.

„Meiner Meinung nach ist das Philosophieren in einer kleinen Runde mit regelmäßigem Input vom Dozenten eine sehr produktive und nachhaltige Form des Lernens. Ich habe mich nur selten in einer Lehrveranstaltung so intensiv mit einem Thema auseinandergesetzt.“[21]Student:in

Vorwissen und eigene Expertise mobilisieren

Die meisten Teilnehmenden brachten von sich aus Probleme aus dem engeren Freundeskreis oder der eigenen Familie ein. In den Mittelpunkt stellten sie die Frage, wie alltägliche Handlungsroutinen, etwa des Einkaufs, durchbrochen werden könnten, wenn sich Ein- oder Ansichten sowie Haltungen zu nachhaltigem Handeln änderten. In dieser Weise konnte das oft bereits vorhandene Vorwissen zum Thema Nachhaltigkeit oder gar eine spezifische Expertise durch eine vorausgegangene Beschäftigung mit speziellen Aspekten eingebracht werden.

„Was hat das Thema ‚Nachhaltigkeit‘ eigentlich mit meinem Leben zu tun? Diese zentrale Frage hat mich über das ganze Semester begleitet und Denkprozesse angestoßen, die in die verschiedensten Lebensbereiche hineinreichen.“[22]Student:in

Die teilnehmenden Studierenden dachten und debattierten überwiegend strikt lokal, nämlich auf das eigene Lebens- und Wohnumfeld bezogen. Das konnte die Herkunftsregion, die oft im Ländlichen lag, oder das städtische Leben sein. Sehr häufig wurde berichtet, dass sie sich mit dem Thema schon beschäftigt hätten, dass sie aber, ob der Komplexität der Zusammenhänge, oftmals gescheitert seien, ein Nachhaltigkeitsthema wirklich zu durchdringen.

So wurden die Vor- und Nachteile ihrer Lebenszusammenhänge zum Thema: Das Verschwinden kleiner Läden auf dem Land – dafür aber das Vorhandensein von lokalen Märkten; die Erreichbarkeit von Bioläden in der Stadt – aber auch die ständige (attraktive) Konkurrenz von den Discountern. Dabei stand fast immer die eigene ökonomische Situation im Mittelpunkt und damit die Frage: Was kann ich mir leisten? Dem schloss sich häufig die Grundsatzfrage an, ob Bio immer und überall teurer sei.

Die Lernprozesse aktiv gestalten

Nach der skizzierten anfänglichen Skepsis (in allen Lehrveranstaltungen) begannen die meisten Studierenden selbständig zu recherchieren, Themen vorzubereiten und Sitzungen zu moderieren. Dieser Prozess wurde durch die vorgesehene Gruppenarbeit erleichtert; gerade die Gruppenprozesse verhalfen oft zur Erkenntnis,

„…, dass es notwendig ist die Hintergründe und Zusammenhänge der Nachhaltigkeit genau zu betrachten, um bei den vielen Diskussionen wirklich mitreden zu können.“[23]Student:in

Als Peers voneinander lernen

Immer wieder berichteten die Studierenden, dass es für sie sehr erleichternd war, in einem kleinem Kreis zu diskutieren und voneinander zu lernen. In den Protokollen wurde zudem regelmäßig betont, dass die Plenarsitzungen und der Austausch mit anderen Gruppenmitgliedern sehr hilfreich beim Lernen waren.

„Aus diesen [Diskussionen] nehme ich mehr mit, als aus dem theoretischen Input, da diese lebensnaher und verständlicher sind.“[24]Student:in

Untereinander erschien es den Studierenden leichter, Ideen, Handlungen und Reflexionen anderer aufzunehmen und sich davon „sensibilisieren“ und/oder durch sie „berühren“ zu lassen. Sie trauten sich, „mit den Gedanken anderer zu spielen“ und betonten, dass es dadurch leichter gewesen sei, eine eigene Haltung zu entwickeln und Handlungsmöglichkeiten zu besprechen. Über die Gruppenarbeiten war es offenbar gelungen, ein Peer-Lernen zu initiieren.

Die eigenen Handlungen reflektieren und verändern

Neben den Themen aus dem eigenen Alltag der Studierenden standen in den Veranstaltungen reflektierende Wertediskurse im Mittelpunkt.[25]Dies hing aus unserer Sicht damit zusammen, dass ein kleiner Teil der Personen einen Migrationshintergrund hatte und somit andere, kulturell bedingte Sicht- und Vorgehensweisen einbrachten. Dabei ging es im Kern bei fast allen Studierenden um die feste Überzeugung, dass Nachhaltigkeitsfragen zugleich auch Wertethemen seien, beispielsweise bezüglich der Menschenwürde oder einer sozialen Gerechtigkeit.

Sie reflektierten ihr Aufwachsen und Leben in verschiedenen prägenden Lebenswelten und verknüpften ihre eigenen Wertehaltungen mit ihren Ansichten, Einschätzungen oder Überzeugungen zu Nachhaltigkeitsthemen.

„Zusammenfassend kann ich festhalten, dass mir die Auseinandersetzungen mit den Themen in der Lehrveranstaltung viele Fragen beantwortet haben, aber natürlich auch einige Fragen aufgeworfen hat, über die ich mir persönlich mehr Gedanken machen werde.“[26]Student:in 

Die Debatten um Wertethemen, die Denken und Haltungen zu einer nachhaltigen Entwicklung zumindest tangieren, oder manchmal auch prägen, führten zu einer gesellschaftlichen Rahmung der Diskussionen, die über die eigenen Erfahrungen in Peers, Familie und Lebensumfeld hinausreichten. Einige betonten, sie sähen dadurch erst „das große Ganze“, nämlich bedingende oder hinderliche Kontexte, Abhängigkeiten und Zusammenhänge. Sie sähen sich selbst „als gestaltendes und reflektierendes Individuum in einer sozialen und natürlichen Mitwelt“.

Interessant ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass sich einige Gruppen bis zum Ende des Studiums weiterhin getroffen hatten, um sich über ihre „Fortschritte bei der Gestaltung einer nachhaltigen Lebensführung“ auszutauschen. Einzelne Studierende beschäftigten sich auch tiefergehend in Bachelor- oder Masterarbeiten mit ausgewählten Nachhaltigkeitsthemen. Bei manchen Studierenden führte die Stärkung der eigenen Urteilsfähigkeit mitunter zu einem beruflichen Wechsel.

Aufwand- und Nutzenverhältnis

Es gilt einzuräumen, dass die konkreten Lehrangebote in (fast) allen Durchgängen überwiegend Personen erreicht hatten, die „von den Ideen zu einer nachhaltigen Entwicklung bereits angefixt“ waren, sich aber bei der persönlichen Umsetzung oft durch Routinen und Vorgaben eingeschränkt sahen. Die Lehrveranstaltungen lebten auch von beruflichen oder berufsnahen Vorkenntnissen der Teilnehmenden sowie ihrer Motivation, nachhaltige Entwicklung besser zu begreifen und in den beruflichen oder privaten Lebensbereich zu integrieren.

Die Konzeption und Durchführung von Lehrveranstaltungen mit einem hohen Partizipationsgrad – bis hin zur selbstständigen Gestaltung durch die Studierenden – erfordert auf der Seite von den Lehrenden einen sehr viel höheren Aufwand als klassische Lehrveranstaltungen. Sie erfordern insbesondere eine größere thematische und auch zeitliche Flexibilität. Insgesamt gelingt dies nur mit einem anderen Rollenverständnis als Lehrende in dem Sinne,[27]So sind beispielsweise wertschätzende Richtigstellungen nicht so einfach aus der Rolle des Lehrenden möglich. nicht so sehr die Inhalte zu liefern (klassische Vorlesung) als vielmehr die entsprechenden Reflexionsprozesse zu organisieren und gemeinsam zu vollziehen.

Teilnehmende aus städtischen Lebensverhältnissen wiesen darauf hin, dass sie bei ihren Recherchen auf eine hohe Anzahl von Vereinen und Initiativen gestoßen seien, die ihnen sehr informiert erschienen; einige schlossen sich solchen Gruppierungen an und/oder wurden selbst in diesem Sinne aktiv. Diese Personen sahen darin die Möglichkeit, sich mit Unterstützung anderer auszuprobieren.

In diesen Fällen ist es aus unserer Lehrendensicht gelungen, dass sich Studierende außerhalb des Lernfelds Hochschule (oder Universität) an gesellschaftlichen Verständigungs- und Gestaltungsprozessen beteiligten – dort hätten sie erfahren, so berichteten sie, was alles bei nachhaltigkeitsbezogenen Aushandlungsprozessen zu berücksichtigen sei.

Fazit

Als Resümee möchten wir festhalten, dass wir in der skizzierten Form eine nachhaltigen Lehre in dem Sinne ausprobiert haben, im gegebenen engen institutionellen Rahmen ein Maximum an Gestaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten zu realisieren. Zweifellos bietet diese Vorgehensweise noch keine umfassende Mitwirkung Lernender bei Bildungsprozessen für eine nachhaltige Entwicklung, weil sich der institutionelle Rahmen der Hochschule mit seinen vielfältigen Anforderungen (wie beispielsweise Prüfungen!) bis in die einzelnen Lehrveranstaltungen hinein als Hindernis expansiven Lernens zeigt.

Was haben wir nun bezüglich nachhaltiger und expansiver Lernprozesse aus unserer Arbeit und dem Verfassen dieses Artikels gelernt? Mindestens zwei Dinge:

  1. Es ist auch in einer nachträglichen Reflexion gar nicht so leicht, die beiden Handlungslogiken der Lehre und des Lernens zu trennen. Relativ unmittelbar und sofort sind uns immer die Dinge eingefallen, die wir selbst organisiert haben um zu erreichen, dass – aus unserer Perspektive – nachhaltig gelernt werden kann. Ob es aber wirklich passiert ist, haben wir, angelehnt an Standards empirischer Sozialforschung, nur annäherungsweise rekonstruieren können.
  2. Um herauszufinden, ob, wann und wo es nachhaltige Lernprozesse in der Veranstaltung gibt führt kein Weg daran vorbei, die Studierenden mit einzubeziehen und direkt danach zu fragen. Nicht nur danach zu fragen: Ihnen selbst Reflexionsmöglichkeiten bezüglich ihres Lernprozesses zur Verfügung zu stellen und sie im Sinne einer partizipativen Sozialforschung zu beteiligen.

Letzteres ist in der Pädagogik ja nicht unbekannt und Lerntagebücher wohl die bekannteste Form bezüglich der Lernprozesse. Doch für entsprechende Reflexionsmöglichkeiten in den entsprechenden Modulen muss explizit und oft vorrangig zu den zu vermittelnden Inhalten gesorgt werden. Das ist bereits eine weitere wichtige Erkenntnis, die wir selbst als Entwicklungsauftrag mitnehmen.

Die wichtigste Form bzw. Methode, in der eine nachhaltige Lehre stattfinden kann, ist nach unseren Auswertungen die Organisation von Gruppengesprächen und Diskussionen der Inhalte auf Augenhöhe. Hier zeigt sich nicht nur paradigmatisch, was Graham Nuthall (2002 & 2007)[28]„The peer culture wins every time“ (Nuthall 2007, S. 37). in seinen empirischen Studien herausgefunden hat, sondern auch, wie es gelingen kann, systematisch die Expertise der Studierenden einzuholen. Das wiederum ist nur partizipativ möglich und kann tatsächlich weder gelehrt, noch geprüft werden – auch (oder gerade) nicht nachhaltig. Zumindest dann nicht, wenn man expansives Lernen fördern will.

Aus unserer Sicht ist diese Art von Reflexion auf das Lernen und die entsprechende Gestaltung der Module in der Hochschullehre noch nicht sehr weit verbreitet. Deshalb ist die Debatte darum, dass eine nachhaltige Lehre quasi nur als Gesamtkonzept,[29]Treffend beschreiben das Rau & Rieckmann, wenn sie formulieren: „BNE geht es nicht nur darum, eine nachhaltige Entwicklung in die Lehre zu integrieren und z. B. Schulfächern oder … Continue reading also unter Einbeziehung der Organisations- und Lernstrukturen, zu haben ist, völlig berechtigt und muss weiter geführt werden. Hierbei kann sich aus unserer Sicht der von uns eingeschlagene reflexive Weg durchaus als sehr wertvoll erweisen.

Mit anderen Worten: Viel mehr als didaktische Überlegungen und methodische Diskussionen sollten im Rahmen einer nachhaltigen Lehre mathetische Überlegungen, also der Blick auf die (expansiven) Lernprozesse, in den Vordergrund gerückt werden. Eine sich daraus ergebende allgemeine Forschungsthese unsererseits ist insofern, davon auszugehen, dass auch eine Bildung für nachhaltige Entwicklung sich nicht alleine aus didaktischen Ableitungen ergibt, sondern mindestens die mathetische Seite der Studierenden in einer reflexiven Schleife einbeziehen muss – konsequent und von Anfang an.

Literaturverzeichnis

Alle hinterlegten Links waren zum Einreichungszeitpunkt (Juli 2023) aktiv. Sollten vereinzelt nicht mehr aktuelle Links hinterlegt sein, so lohnt sich im Regelfall die Suche nach dem Veröffentlichungstitel.

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  • Trautwein, U.; Sliwka, A. & Dehmel, A. (2018): Grundlagen für einen wirksamen Unterricht. Band 1. 2. Auflage. IBBW (Hrsg.): Wirksamer Unterricht. Band 1. Grundlagen.

Nachtrag am 25.11.2023

Wir haben den original eingereichten Text mit einer Vorbemerkung versehen, der auf das Peer-Review-Verfahren – und seinen Ausgang – hinweist. Da wir die leitende Idee, dass wir zu wenig über nachhaltiges Lernen wissen, wenn wir nachhaltige Lehrveranstaltungen organisieren, nach wie vor für richtig und wichtig halten, habe ich den eingereichten Vorschlag über ResearchGate zur Verfügung gestellt und mit einem DOI versehen. Das ermöglicht es uns hoffentlich, weiter am Thema zu bleiben und andere Erfahrungen in dieser Richtung mit aufreifen zu können.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Dr. Rosário COSTA-SCHOTT ||  Hochschule München, Fakultät 11
2 Prof. I. R. Dr. Gerd Mutz  ||  Ehemals Hochschule München
3 Hier die Beschreibung der Herausgeber, welche Kriterien ein solcher Beitrag erfüllen sollte. Er

  • behandelt ein konkretes Problem der Hochschulentwicklung in der (eigenen) Hochschule
  • Praxisdesiderat
  • ist in die wissenschaftliche Diskussion und Literatur eingebettet (jedoch ohne den Anspruch, einen Überblick über die Literatur zu erhalten)
  • bietet Anregungen zur Lehr- und Hochschulentwicklung ggf. mit Handlungsempfehlungen
  • folgt einer systematischen und transparenten Darstellung (z. B. keine unverständlichen Hinweise auf Spezifika und Details in einem Praxisfeld)
  • arbeitet generalisierbare Aspekte und Faktoren im Sinne einer Theoriebildung heraus
  • ersichtliche Transferüberlegungen
  • Forschungsdesiderate sind benannt
  • folgt konsistent einschlägigen Regeln der Zitation (APA-Stil, aktuelle Auflage);
  • umfasst zwischen 20.000 und 33.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen sowie Deckblatt, Literatur- und Autorenangaben).

4 Auszug aus der Mail mit der Antwort auf die genauen Ablehnungsgründe.
5 Und an dieser Stelle unsere letzte Antwort auf den Austausch, weil wir die Ablehnung im zitierten Sinn nicht nachvollziehen konnten und auch nicht für richtig halten: „Was die theoretische Fundierung betrifft glauben wir schon, dass wir diese geliefert haben. Auf eine genauere Ausführung dessen, was wir unter nachhaltigem Lernen verstehen haben wir nicht nur aufgrund der Zeichenzahl verzichtet, sondern auch deshalb, weil wir extra einen Entwicklungsbeitrag eingereicht haben. Das gilt auch für den Methodenteil, denn zumindest nach unserer Lesart war dieser für einen Entwicklungsbeitrag nicht gefordert. Am Ende hätten wir das natürlich auch nachliefern können, wenn sie Interesse daran signalisiert hätten.“
6 Wir sind als Lehrende der Fakultät in unterschiedlichen Positionen gewesen. Gerd Mutz war ordentlicher Professor, Rosário Costa-Schott und Alexander Klier Lehrbeauftragte. Gemeinsam engagierten wir uns bei BenE München (regionales Kompetenzzentrum Bildung für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen) in der Arbeitsgruppe ‚nachhaltiges Wirtschaften‘.
7 Nach unseren Erfahrungen in vergleichbaren Lehrveranstaltungen war der Spielraum für die Lehre im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung eher gegeben, wenn diese Selbststudium und -kontrollen oder mehrere Präsenztage und praxisnahe Projektarbeit mit einschließen.
8 Klaus Holzkamp (1996) spricht im Falle einer Gleichsetzung von einem Lehr-Lern-Kurzschluss. „Die Tatsache, daß Lehrer das Lernen organisieren verleitet dazu, das Lernen nicht als eine Bewegung der Schüler zu begreifen, sondern als ein Resultat der Bewegung des Lehrers“ (Gerhard Zimmer 1987, zitiert nach HOLZKAMP 1987, S. 12).
9 Das gilt in einem übertragenen Sinn natürlich auch für die Frage der Organisation oder Institution Hochschule. Wenn es richtig ist, dass sich Bildungseinrichtungen wie Hochschulen (oder Universitäten) in ihren Prozessen nachhaltig strukturieren und organisieren müssen (vgl. hierzu RAU & RIECKMANN 2023), dann müssen Sie insbesondere einen Blick auf ihr Herzstück, nämlich die zu gestaltenden Lernprozesse, richten.
10 Lehrende benötigen also neben dem „Wissen über innovative Lehr-Lernmethoden“ (RAU & RIECKMANN 2023, S. 25; Hervorhebung durch die Autor:innen) auch die Fähigkeiten zur Anwendung von  Lernmethoden. Doch auch Lernmethoden stellen in dieser Diskussion zunächst nur eine didaktische Perspektive dar, weshalb es sich lohnt, genauer auf das Lernen im Sinne von Lernprozessen zu schauen.
11 Als Gegenposition zum expansiven Lernen ergibt sich für Klaus Holzkamp defensives Lernen in Bildungsinstitutionen durch ihre vielfältigen Anforderungen, die eher selten den Lerninteressen der Subjekte entsprechen. Gelernt wird dann nicht der Inhalt, also beispielsweise Nachhaltigkeit, sondern die Lernzumutungen, die sich daraus ergeben, also Nachhaltigkeit in Testaten nachzuweisen, abzuwehren. Es beinhaltet „alle Arten des Schummelns, Abschreibens, Auswendig-Lernens mit anschliessendem Vergessen“ (Grotlüschen 2005, S. 18).
12 Expansives Lernen ist in der konkreten praktischen Umsetzung von Lehrveranstaltungen nicht „empirisch-positiv“ zu erfassen. Es handelt sich hier eher um ein analytisches Instrumentarium. Genauer lässt es sich erfassen als Möglichkeit „im Versuch, gesellschaftliche Zwangsverhältnisse zu überwinden“ (Grell & Ludwig 2017, S. 130).
13 Interessant und fruchtbar wäre es sicherlich, die von uns überlegten Aspekte eines nachhaltigen Lernens mit den Teilkompetenzen der geforderten Gestaltungskompetenz einer Bildung für nachhaltige Entwicklung zu verknüpfen. Vgl. zur Gestaltungskompetenz de Haan 2007, S. 32.
14 Die Konzeption zu dieser Veranstaltung ergab sich durch das von der Eberhard von Kuenheim Stiftung und der Akademie „Kinder philosophieren“ erprobte und in einem Buch publizierte Projekt „Wie wollen wir leben? Kinder philosophieren über Nachhaltigkeit“ (oekom Verlag, 2012). Die darin dargestellten Grundideen wurden teilweise übernommen und im Hinblick auf einen hochschulbezogenen Teilnehmerkreis von jungen (und älteren) Erwachsenen umformuliert.
15 Student:in
16 So wurden etwa Seminare zu nachhaltigem Wirtschaften oder Zukunft der Arbeit sowie Teilhabe- und Gerechtigkeitsfragen ähnlich konzipiert.
17 Dies konnten Artikel aus Print- und Online-Medien sein, ebenso wie Podcasts, TV-Beiträge oder YouTube Videos. Die Studierenden wurden aufgefordert, mit ‚ihrem‘ Nichtwissen und Nichtverstehen von wirtschaftlichen Strukturen und Handlungsweisen offensiv umzugehen und ermuntert, eine eigene Expertise zu entwickeln.
18 Bei einer anderen Lehrveranstaltung wurde der ‚Arbeitsauftrag‘ folgendermaßen formuliert: „Betrachten Sie einen beliebigen Ausschnitt Ihres Alltags und erzählen Sie den anderen Mitwirkenden Ihrer Gruppe genau, was Sie tun und reflektieren Sie, in welcher Hinsicht Ihr Handeln eine nachhaltige Entwicklung beeinflusst. Fragen Sie die Mitwirkenden nach deren Ansichten und Erfahrungen. Googeln Sie nicht, wie ‚Nachhaltigkeit‘ definiert wird. Finden Sie es selbst heraus.“
19 Student:in
20 Insbesondere im Zusammenhang mit der Einführung von Studiengebühren breitete sich eine Konsumhaltung aus, die oft zu der Auffassung führte, dass das Einbringen von Themen zur (bezahlten!) Serviceleistung der Hochschule gehöre.
21 Student:in
22 Student:in
23 Student:in
24 Student:in
25 Dies hing aus unserer Sicht damit zusammen, dass ein kleiner Teil der Personen einen Migrationshintergrund hatte und somit andere, kulturell bedingte Sicht- und Vorgehensweisen einbrachten.
26 Student:in
27 So sind beispielsweise wertschätzende Richtigstellungen nicht so einfach aus der Rolle des Lehrenden möglich.
28 „The peer culture wins every time“ (Nuthall 2007, S. 37).
29 Treffend beschreiben das Rau & Rieckmann, wenn sie formulieren: „BNE geht es nicht nur darum, eine nachhaltige Entwicklung in die Lehre zu integrieren und z. B. Schulfächern oder Studiengängen neue Inhalte hinzuzufügen. Schulen und Hochschulen sowie auch andere Bildungseinrichtungen sollen sich als Orte des Lernens und der Erfahrung für eine nachhaltige Entwicklung verstehen und daher alle ihre Prozesse an Prinzipien der Nachhaltigkeit ausrichten“  (2023, S. 25).