Mathetische Begründungen

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Ungefähre Lesezeit (inklusive oft umfangreicher Anmerkungen in Form von Fußnoten): 20 Minuten

It is less important what the student is doing, or what resources the student is using, or what are any of the other contextual aspects of the experience. What matters is the sense the student is making of the experience.

Graham Nuthall 2002, S. 13[1]Der spannende Aufsatz mit dem Titel „The Cultural Myths and the Realities of Teaching and Learning“ kann hier heruntergeladen werden. Er ist erschienen in: New Zealand Annual Review of … Continue reading

Noch Ende 2022 habe ich meine Recherchen über Graham Nuthall und seine elaborierten qualitativen Studien initial als Artikel auf der Wikipedia eingestellt. Der Anlass ihn zu verfassen war einigermaßen banal: ich hatte eher zufällig in einer Replik auf John Hatties Werk des „Visible Learning“ gelesen, dass sein Landsmann, jener Graham Nuthall, konträr zu dieser Meinung stand.[2]Dabei handelte es sich um den sehr erhellenden Aufsatz des Schweizer Pädagogen und Psychologen Walter Herzog aus dem Jahr 2014 mit dem Titel „Weshalb uns Hattie eine Geschichte erzählt. Oder: … Continue reading Für Nuthall ist Lernen als Prozess unsichtbar – und weder logisch noch kausal mit der Lehre verbunden.[3]Hier ist das Originalzitat, das mich inspirierte: „This myth deals with the problem that learning is invisible and cannot be seen in the activity of the teacher or student.“ Graham Nuthall … Continue reading Daraufhin fing ich an zu recherchieren und war mehr als überrascht, dass es weder zu Graham Nuthall noch seinen Studienergebnissen nennenswerte Einträge oder Treffer gab.[4]Zumindest nicht in der deutschen auch nicht in der englischen Wikipedia. Es war auch nicht leicht, im Internet weitere Informationen zu ihm selbst zu bekommen.[5]Eher schon zu einigen seiner Ergbnisse, weil die Aufsätze zum Teil verfügbar sind. Am Ende fühlten sich meine Recherchen fast wie ein Krimi an. Zumindest wie ein Puzzle, dessen Puzzelsteine ich am Ende aber zusammensetzen konnte.

Nachdem ich nun in der Wikipedia den formalen Teil zur Biografie und Bibliografie von Graham Nuthall hinterlegt habe, möchte ich mich in diesem Blog speziell mit den inhaltlichen Erkenntnissen von ihm auseinandersetzen.[6]Das mache ich vor allem anhand von zwei Werken: 1. Aus dem Aufsatz „The Cultural Myths and the Realities of Teaching and Learning“ aus dem Jahr 2002 und 2. dem Buch „The hidden … Continue reading Verbinden möchte ich das mit meinen Ausführungen, die ich als Autor von zwei Basistexten zum Thema Erwachsenenbildung gemacht habe.[7]Es handelt sich dabei um Studientexte des Studienverbundes BASA-Online. Text 1 (O 10.4.2) trägt den Titel „Bildung für Erwachsene und ältere Menschen. Analoge Herausforderungen, digitale … Continue reading Dabei behandle ich Schulklassen zunächst synonym mit Seminargruppen, sofern sie als (gruppendynamische) Gruppe im analogen oder virtuellen Raum über eine längere Zeit beieinander sind.[8]Gruppe ist bekanntlicherweise nicht gleich Gruppe, insofern geht es mir tatsächlich um den gruppendynamischen Zusammenhalt, der sich erst im Laufe einer gewissen Zeit tatsächlich entwickeln kann. … Continue reading Weiter möchte ich diesen Beitrag auf mein Lieblingsthema, das der Kollaboration, beziehen und mit dem „pädagogischen Kern“ von Walter Herzog abgleichen.[9]Von seinen Ausführungen und Aufsätzen bin ich immer sehr inspiriert worden. Parallel dazu werde ich auch einige Grafiken dazu in den Text einbinden, die ich entweder selbst entworfen oder aber adaptiert bzw. weiterentwickelt habe, und die das Geschriebene optisch verdeutlichen sollen.

Die Entdeckung der Mathetik

Being busy is not a cause of learning unless you know exactly what information or knowledge the student is getting out of being busy.

Graham Nuthall 2002, S. 18[10]a.a.O.

Für mich ist Graham Nuthall einer der ersten Forscher, der sich über seine qualitativen Designs mit der Mathetik im Sinne der Wissenschaft des Lernens empirisch auseinandergesetzt hat. Dabei begann sein Einstieg mit der Lehre und Didaktik, genauer eigentlich mit dem, was Lehrer:innen im Klassenzimmer so tun. Auch für ihn wird überwiegend aus der Aktivität von Lehrenden im Sinne des Einsatzes von Methoden auf Lernaktivitäten der Schüler:innen geschlossen. Nicht nur Lehrer:innen, sondern Lehrende insgesamt folgen damit in ihrer Praxis einem kulturellen Ideal, das in einem „busy active classroom“[11]Nuthall 2002, S. 5. besteht. Die Aktivitäten im Seminarraum sind dabei das, was man tatsächlich beobachten kann, weshalb sie mittlerweile vielfach als Sichtstrukturen von Unterricht (und von Seminaren) bezeichnet werden.[12]So beispielsweise Ulrich Trautwein, Anne Sliwka & Alexandra Dehmel (2018): Grundlagen für einen wirksamen Unterricht. Wirksamer Unterricht – Band 1.

Spätestens hier aber teilt sich für Graham Nuthall die Reise auf. Mit seinen Studien zeigt er nämlich, dass diese Interpretation nicht zulässig ist. Lehrende können prinzipiell nicht auf die individuellen Lernprozesse eingehen, denn sie müssen beim Unterrichten auf „the class as a whole“ fokussieren.[13]Hier das Originalzitat: „In order to manage a class of 25 to 35 students, all of whom have different knowledge, skills, interests and motivations, teachers have to focus on the performance of … Continue reading Das können sie am besten gewährleisten, wenn sie den etablierten kulturellen Mythen folgen, weil die Lehre im Klassenraum ein sehr komplexes Geschehen darstellt. Wie Sprache auch hat die Lehre für ihn ihre eigenen grammatikalischen Regeln.[14]a.a.O., S. 7 Und nicht nur sie: Auch das Lernen hat eine eigene Grammatik und damit Tiefenstruktur.[15]An dieser Stelle möchte ich auf den Blogbeitrag verweisen, den ich gemeinsam mit Siegfried Lautenbacher zur Kollaboration geschrieben habe und der den Titel „Grammatik der Regeln einer … Continue reading Dazu mehr ab Punkt 1.3.

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Bild 1 (auch Beitragsbild): Klassenzimmer mit Schüler:innen als Peers. Für Graham Nuthall leben die Schüler:innen und Studierenden auch im Klassenzimmer in einer parallelen Welt zum Unterricht. In dieser haben für ihn die Peers, also die Mitschüler:innen, wesentlich mehr Einfluss auf den individuellen Lernprozess als die Lehrer:innen. „The peer culture wins every time.“[16]Nuthall 2007, S. 37
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Kulturelle und didaktische Mythen

Within reasonable limits, the learning process, like the metabolic processes that take place in the body, is universal across our species. How the metablic process actually works in our bodies depends on what we eat and drink. So it is with the learning process.

Graham Nuthall 2002, S. 17[17]A.a.O.

Graham Nuthall listet einige kulturelle Mythen auf, die in der Lehre oder bezüglich der Didaktik des Lehrens herrschen. Drei davon sind für mich wesentlich und sehr anschlussfähig an das, was ich in verschiedenen Beiträgen und Blogs bereits dazu geschrieben habe.

  1. Da ist zum einen die längst widerlegte Therie der Lerntypentheorie nach Frederic Vester[18]Im amerikanischen werden sie „learning types“ genannt. Auch hier gibt es „visual“ (visuelle), auditory (auditive), und kinesthetic (haptische) Lerner:innen. Sehr schön … Continue reading|[19]Meine eigenen Auseinandersetzungen habe ich beispielsweise in diesem Aufsatz ausführlicher beschrieben. Hier führt er ein schönes Beispiel an, wenn er erläutert, dass Menschen durchaus sehr unterschiedliche Präferenzen bezüglich des Essens haben, das aber mitnichten bedeutet, dass der zugrunde liegende metabolische Prozess damit auch verschieden wäre. Der Lernprozess, „by which their brains acquire new knowledge and skills, is essentially the same for all children“.[20]2007, S. 34
  2. Zum anderen sagen für Nuthall weder Noten, noch andere Tests, wie etwa Intelligenztests,[21]Gerade mit diesem Thema habe ich mich hier in diesem Blog schon sehr ausführlich beschäftigt. etwas über die Qualität der Lehrprozesse aus. Auch die öffentlichen Evaluationsprogramme wie etwa TIMSS oder PISA sagen – jenseits der Fähigkeiten, die Tests mehr oder weniger gut zu absolvieren – nichts über das tatsächlich Gelernte aus.[22]Ein sehr schönes Beispiel, wie Lernende Testfragen beantworten, und wie vor allem die Testfragen formuliert werden, damit sie antworten können, findet sich im Buch (2007) auf S. 44. „Percentiles say nothing about what student knows or can do.“ Von einigen Ausnahmen abgesehen sind sie auch „no help at all in improving the quality of teaching“.[23]Nuthall 2007, S. 30 & S. 29
  3. Es gibt kein Mikrolernen (microlearning)! Sehr überzeugend zeigt Nuthall des öfteren in seinem Buch anhand von Interviews mit Schüler:innen auf, dass Wissen mehr und vor allem etwas anderes als ein reines Wiedererinnern bzw. Explizieren von Informationen ist.[24]„Knowledge is not tiny bits that we can count and represent by numbers, but a network of logically interconnected ideas, beliefs, and generalisations sturctured so it can be searched and used … Continue reading Selbst relativ einfache Fakten sind dann, wenn sie verstanden und begriffen worden sind, sinnvoll in ein Wissensnetzwerk eingebettet. Erst dadurch werden sie zu echtem Wissen jenseits eines rein auswendig gelernten Faktums.[25]„Direct recall is rare“ (a.a.O.).|[26]Begrifflich war microlearning ohnehin immer falsch, weil er sich – ähnlich wie Begriff E-Learning – eigentlich auf das Lehren bezogen hat und eigentlich Micro-Teaching heißen müsste, … Continue reading

Als Conclusio gibt es für ihn keine guten Methoden von Lehre im Sinne von Rezepten wie etwa bezüglich einer Medikamentierung, denn jede:r Lehrer:in adaptiert oder modifiziert Methoden in der pädagogischen Praxis.[27]„In the realities of the classroom, methods do not exist“ (Nuthall 2007, S. 32). Lernen als Prozess bedeutet zudem immer eine individuelle Veränderung. Solange jedoch nicht klar ist, was sich in den Einstellungen, den Fähigkeiten oder auch geistig bei den Lerner:innen ändert, solange kann man nichts darüber aussagen, ob und wie der Lernprozess stattgefunden hat.

Sichtbares Lernen?

Zu sehen vermögen die Lehrer lediglich Verhaltensweisen, die sie als Lernen interpretieren, sofern eine Verhaltensänderung nicht durch Wachstum, Reifung oder andere nicht erfahrungsbedingte Einwirkungen verursacht wurde.

Walter Herzog 2013, S. 7[28]Herzog, W. (2013): Was können wir von der qualitativen Unterrichtsforschung lernen? Referat anlässlich der Tagung „Was wissen wir über Unterricht?“ der Kommission „Professionsforschung und … Continue reading

Grob gesprochen handelt es sich beim Einsatz von Methoden im Unterricht oder in Seminaren um Sichtstrukturen, weil sie eben im Einsatz direkt und auch von Außenstehenden zu beobachten sind. In Weiterführung des Lehr-Lern-Kurzschlusses, wie Klaus Holzkamp das Phänomen bezeichnet, lassen sich viele von der naiven Vorstellung leiten, die Informationen, die darüber aufgegriffen oder behandelt werden, würden automatisch bzw. direkt in das Gedächtnis (als Wiedererinnerung) überführt und damit reproduzierbar (explizierbar) werden.[29]Dass das menschliche Langzeitgedächtnis so nicht aufgebaut ist, noch gar das Arbeitsgedächtnis so funktioniert, legt Nuthall in einem eigenen Kapitel (Kapitel 3) in seinem Buch (2007) anhand … Continue reading Für Lehrer:innen und Seminarleiter:innen bietet die Sichtstruktur zwar eine leichte Möglichkeit, etwas als (vermeintlich) hilfreiche Lernmethode zu identifizieren. Aber eine Beurteilung, ob aufgrund der Methode tatsächlich ein Lernen stattfindet oder ein Lernprozess initiiert wird, ist auf dieser Ebene nicht möglich.[30]Das gilt vor allem für die gesamte Ratgeberliteratur, die genau deshalb unwirksam ist. Hierzu sehr schön und aufschlussreich Nicole Becker (2006): Die neurowissenschaftliche Herausforderung der … Continue reading Methoden bleiben in jedem Fall Werkzeuge, deren Auswahl zum geplanten grundsätzlichen Setting und Ziel eines angestrebten Lernprozesses passen sollte. Entscheidend für den Lernerfolg ist nach den Studien von Graham Nuthall jedoch alleine, wie es den Lerner:innen gelingt, Sinn aus ihrer eigenen individuellen Erfahrung (mit Hilfe der Methoden) zu generieren.[31]Hierzu auch in Übereinstimmung Elsbeth Stern (2015): Lernen heißt Wissen konstruieren: Kommentar zu Alexander Renkl. In: Psychologische Rundschau Nr. 66; Heft 4/2015, S. 226 – 228; hier S. 226.

Entgegen der Behauptung seines Landsmannes John Hattie ist (und bleibt) für Graham Nuthall das Lernen selbst ein unsichtbarer Prozess. „We simply cannot tell by looking.“[32]Nuthall 2007, S. 26. Feststellen könnte man das Lernen von Schüler:innen lediglich dann, wenn festgestellt werden könnte, wie sich das Verständnis (beispielsweise zur Sache) und die Einstellungen (beispielsweise zu einer Handlung) von Studierenden verändert haben.[33]a.a.O., S. 52|[34]Malte Brinkmann bezeichnet Lernen unter einer leiblichen Perspektive als „Entzugsphänomen“, das sich zunächst auch „der bewussten, willentlichen und absichtlichen … Continue reading Auch die Erfahrung der Lehrenden, beispielsweise beim Anwenden der Methoden, ist irrelevant für den Lernerfolg. Zwar lassen sich durch unterschiedliche und sichtbare Methoden über erfahrene Lehrende produktive Lernprozesse realisieren, doch „keine Methode ist per se besser – […] der passende Einsatz […] [ist] entscheidend!“[35]Trautwein, Sliwka & Dehmel 2018, S. 7 Echte Lernprozesse können nur dann entstehen, wenn die Methoden zu den Strukturen und Prozessen der Organisation (der Schule, einer Einrichtung oder auch den Unternehmen) passen.

Graham Nuthalls Team belegt über ihre Forschung, dass Lerner:innen mindestens drei verschiedene Gelegenheiten haben müssen, um ein Konzept im Sinne genereller Prinzipien, Prozeduren oder auch Ideen zu verstehen.[36]Nuthall 2007, S. 63. Darunter sind jedoch keine simplen tutoriellen Wiederholungen oder Übungen wie Hausaufgaben zu verstehen, wie Nuthall mehrmals betont. Es geht um jeweils unterschiedliche … Continue reading|[37]„If this does not occur, the new experience is treated as just another version or aspect of a known concept and is aborbed into it, or is simply forgotten“ (a.a.O.). Das gilt insbesondere für neue bzw. bisher nicht bekannte Konzepte und bedeutet, dass eine „single brilliant explanation […] not, in itself, enough“ ist.[38]a.a.O., S. 81 Normalerweise findet der Lernprozess auch für die Lernenden unbewusst – über ihr Handeln – statt und benötigt Zeit, damit die Informationen verarbeitet werden können.[39]„They need opportunities to come at the material in differne ways“ (a.a.O). Für Nuthall gibt es noch weitere Kriterien im Sinne von Voraussetzungen, die zu gelingenden Lernprozessen im gemeinsamen Lernkontext wie dem Klassenraum führen können:

  1. Lerner:innen lernen, was sie tatsächlich tun.[40]Nuthall 2007, S. 36 Das ist ziemlich wörtlich zu nehmen und bedeutet, dass sie beispielsweise beim Präsentieren das Präsentieren lernen, nicht jedoch (automatisch) den Inhalt der Präsentation bzw. den Unterrichtsgegenstand allgemein.[41]Das deckt sich gut mit den Untersuchungen von Adreas Gruschka in seinem Buch „Präsentieren als neue Unterrichtsform. Die pädagogische Eigenlogik einer Methode“ aus dem Jahr 2008. … Continue reading
  2. Soziale Beziehungen determinieren das Lernen. Das heißt, dass die Beziehungen der Schüler:innen und Student:innen zueinander als Peers wichtiger sind für das Lernen als die Lehrpersonen.
  3. Effektive Lernbemühungen widmen sich den großen Fragen an ein Thema. Entsprechend sollte die Lehre diese adressieren, um das Interesse der Lernenden und die Leidenschaft der intrinsischen Motivation in den Schüler:innen zu wecken.
  4. Effektives Lernen wird durch die Lerner:innen selbst bestimmt, nicht durch die Lehrenden organisiert. Den erfahrenen Lernenden zu erlauben, beim Lernen eigene Wege – beispielsweise anhand der großen Fragen – zu gehen ist eine weitere wesentliche Voraussetzung.[42]a.a.O., S. 38; Ich selbst bevorzuge hierbei den Begriff der Selbstbestimmung, nicht der Selbstorganisation.

Die genannten Kriterien weisen unmittelbar auf die (grammatikalischen) Tiefenstrukturen des Lernens hin, denn genausowenig wie die Lernprozesse sind die sozialen Beziehungen oder auch die Selbstbestimmung beim Lernen (direkt) beobachtbar. Nuthall nennt sie verschiedene Schichten (Layer), die immer durchsichtiger (opaker) werden und am Ende unsichtbar sind.

Tiefe Strukturen des Lernens!

Vor dem Hintergrund der Problematik, einzelne Lehrmethoden oder auch Unterrichtselemente als charakteristisch für guten Unterricht anzusehen, hat sich in weiten Teilen der deutschsprachigen Unterrichtsforschung die Unterscheidung zwischen den oberflächlichen Sichtstrukturen und der Tiefenstruktur des Unterrichts etabliert.

Alexander Renkl 2015, S. 214[43]Renkl, A. (2015): Drei Dogmen guten Lernens und Lehrens: Warum sie falsch sind. In: Psychologische Rundschau Nr. 66, Heft 4/2015, S. 211 – 220

Unter der Tiefenstruktur des Lernens wird in der deutschen Unterrichtsforschung das verstanden, was auf der Ebene der Sichtstruktur nicht sofort bemerkbar ist: Auf welches Ziel hin gelernt wird, wie die kommunikative Interaktion der Lerner:innen untereinander und auch mit den Lehrenden geregelt ist, wie die Auseinandersetzung mit dem zu Lernenden (dem Stoff oder Inhalt) stattfindet und wie die persönliche Eigenaktivität gefördert und eine selbstbestimmte Sinn(re)konstruktion ermöglicht wird. Auf einer tiefenstrukturellen Ebene geht es vor allem um die Frage, was es eigentlich zu verstehen, zu begreifen oder auch nur zu wissen gilt – und welchem Zweck das erworbene Wissen dient. Die Tiefenstrukturen „haben eine größere Erklärungsmacht für den Lernerfolg als die Sichtstrukturen“.[44]Trautwein, Sliwka & Dehmel 2018, S. 2 Trotz der Unsichtbarkeit sind also hauptsächlich die Tiefenstrukturen verantwortlich für das Lernergebnis. Dazu gehören am Ende auch die gesellschaftlichen Erwartungen und vor allem die politische Ausgestaltung des Bildungssystems beispielsweise durch die Nachweis- und Kontrollverfahren in Form von Testaten.

Grafik 1: Sicht- und Tiefenstrukturen von Unterricht bzw. Seminarformen. Die Grafik nimmt bereits verschiedene Schichten von Nuthall auf, die für das Lernergebnis entscheidend sind. Auf die Frage der Organisationsstrukturen komme ich in anderen Zusammenhängen, beispielsweise in den erstellten Basistexten, zu sprechen.[45]Vor allem ist das für mich ein Thema des Corporate Learning, also des Organisationslernens, wie ich es in verschiedenen Aufsätzen und Blogs schon näher ausgeführt habe.
Eigene Grafik, die unter den Bedingungen der Creative Commons BY-SA weiterverwendet werden darf.[46]Die Grafik ist angelehnt an Trautwein, Sliwka & Dehmel 2018, S. 6.

Wenn man so will, dann treffen die Tiefenstrukturen des Lernens im Klassen- oder Seminarraum auf die Tiefenstruktur einer Organisation wie der Schule.[47]Weshalb Nuthall und sein Team die Untersuchungen auch immer im Klassenraum durchführten. Produktiv werden sie als Lerngelegenheiten aber nur dann, wenn sie pädagogisch oder vielmehr mathetisch adäquat genutzt werden, also nicht von sich aus oder, um einen zweiten Begriff von Klaus Holzkamp zu verwenden, in Form einer „didaktischen Zurüstung“.[48]„Vielmehr versuche ich in den verschiedensten Zusammenhängen zu zeigen, daß die Vorstellung, man könne etwa durch Lehrpläne, Lehrstrategien, didaktische Zurüstungen die Lernprozesse … Continue reading Damit beschäftigt sich die Mathetik als Wissenschaft des Lernens.

Kollaborative Mathetik

Das Medium, in dem Erziehung und Unterricht ihre Wirksamkeit entfalten, ist daher nicht Kausalität, sondern Kommunikation. Kommunikation kann aber nicht als Übertragung von Information im technischen Sinn verstanden werden, sondern beruht auf mindestens drei Selektionen: Information, Mitteilung und Verstehen.

Walter Herzog 2022, S. 9 [49]Walter Herzog im Aufsatz „Als ob sich Lehren und Lernen regulieren ließen“ 2022, S. 9.

Für Graham Nuthall können Lerner:innen individuell sehr verschiedene Dinge aus ein und derselben Unterrichtssituation ziehen bzw. bezüglich des Lerngegenstandes in der Klasse lernen.[50]„Er [der/die Schüler:in] interpretiert den Lerninhalt auch als seine Lernerwartung im Unterricht und er bezieht ihn dabei auf seine bereits vorhandenen Kenntnisse, aber auch Schwierigkeiten … Continue reading Nicht etwa, weil sie mit unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattet sind, sondern weil sie mit einem unterschiedlichen Hintergrundwissen und kulturellen Background starten, die Lernerfahrung in Wissen umzuwandeln. Das lässt sich aus den Auswertungen überzeugend ableiten.[51]Vgl. hierzu auch meine Überlegungen bezüglich der Intelligenztests und dessen, was sie messen. Nuthall folgt Lew Wygotskis Analysen wenn er davon ausgeht, dass die Frage, wie und was Menschen aus der Erfahrung lernen nicht angeboren ist, sondern durch die Lernerfahrungen selbst, meist über das Handeln in Lernsituationen und die Kommunikation dazu, geformt wird[52]„Much of this ‚working with our mental model‘ occurs through language, an internal version of language, or talking to oneself“ (a.a.O., S. 74).. Die Lehrenden sind dabei nur eine mögliche Quelle für die notwendigen Lernerfahrungen.

Das deckt sich zunächst mit dem Begriff des „expansiven Lernens“ von Klaus Holzkamp, weil auch dieses nur dann stattfinden kann, wenn die Lerner:innen (subjektive) Gründe für das Lernen haben.[53]Für das schulische Lernen, bzw. das verordnete Lernen allgemein weist Klaus Holzkamp über die allgegenwärtigen Lernwiderstände auf, dass es sich hier um eine rein defensives Lernen handelt. Sehr … Continue reading Die Theorie von Graham Nuthall geht auch darin konform, zurück zu den handlungstheoretischen und anthropologischen Wurzeln zu kommen: „The general theory behind these claims is that we internalise what we do.“[54]„As we build up experience of the world around us, we construct a model of that world that allows us to deal with it in our minds without having always to deal with it physically through trial … Continue reading An der Internalisierung hat die Kommunikation als Handlung allgemein einen wesentlichen und die soziale Sprache der Peers einen besonderen Anteil.[55]Hannah Arendt hat das für mich in der „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ (2003, S. 218) auf den Punkt gebracht, wenn sie sagt: „Wortloses Handeln gibt es streng genommen … Continue reading Besonders aber findet das individuelle und willkürliche Lernen als Handlung in kommunikativen Kontexten und sozialen Beziehungen (virtueller) Räume statt.

Klassenzimmer und Lernräume

The ‘classroom’ is a curious and amorphous discursive space, therefore — expanding and contracting under the pressures of different discourses that police its boundaries and construct its interiority in disparate ways.

Baljit Kaur 2012, S. XI[56]Kaur, B. (2012): Introduction in Understanding Teaching and Learning: Classroom Research Revisited.

Die Architektur von Räumen spielt für John Hatties Sicht auf das Lernen keine Rolle. Das verwundert nicht, denn die Raumdimension wird bereits in der normalen pädagogischen Debatte deutlich vernachlässigt.[57]Vgl. hierzu sehr schön Werner Sesinks Aufsatz zur Pädagogik als einräumender Praxis aus dem Jahr 2014. Erst recht gilt das für die Konstitutionsbedingungen von Räumen. Passend zu einem technisch-medialen Verständnis von Kommunikation wird überwiegend architektonisch motiviert „eine Behälter-Auffassung von Raum“, die unabhängig von „den Subjekten“ darin strukturiert ist,[58]Faulstich, Peter & Haberzeth, Eric (2010): Aneignung und Vermittlung an lernförderlichen Orten. Theoretische Begründung und exemplarische Analysen von Lernorten. In: Zeuner, Christine (Hrsg.): … Continue reading vertreten. Konsequenterweise wird auch der Seminarraum oder das Klassenzimmer nur als metaphorische Beschreibung eines Behälters gedacht und didaktisch rekonstruiert.

Grafik 2: Die vielschichtige und in vielen Teilen unsichtbare Natur des Lernens in Klassenräumen nach Graham Nuthall. Deutlich zu erkennen ist, dass der Lernprozess sehr individuell in den unterschiedlichen Schichten abläuft. Sichtbar sind einzig die lehrendenzentrierten Aktivitäten und Formate des Unterrichts.
Von mir ins deutsche adaptierte Grafik, angelehnt an die Grafik in Nuthalls Buch „Hidden Lives of Learners“ 2007, S. 159. Sie darf unter den Bedingungen der Creative Commons BY-SA weiterverwendet werden.

„Sichtbares“ oder „effektives“ Lernen mathetisch in eine Architektur zu übersetzen bedeutet mindestens, die gegenseitige Wahrnehmung der Akteur:innen zu ermöglichen und kollaborative Räume des Lernens zu schaffen. Insofern wirkt sich die Mathetik auf die architektonische Gestaltung von Schulen und Seminarhäusern, beispielsweise „als Raum für Teams“, aus.[59]Vgl. hierzu auch den aktuell passenden und gleichnamigen Aufsatz von Christian Kühn aus dem Jahr 2022. Wie Studien zum Münchner Lernhauskonzept zeigen ergibt sich aber nicht bereits aus der Architektur ein adäquates pädagogisches Verhalten.[60]Vgl. hierzu Uta Hauck-Thum & Michael Kirch (2019): Studie zur aktuellen Umsetzung des Münchner Lernhauskonzepts an vier Grundschulen in München. „Herkömmliche Vorstellungen von Schule … Continue reading Insofern ist es mathetisch weit wichtiger, die Handlungsdimensionen von Räumen zu betrachten, wie es Graham Nuthall gemacht hat. Für ihn ist das soziale Raumgefüge für den Lernerfolg ausschlaggebend. Hier wiederum spielen für ihn vor allem die Peers, also die Mitschüler:innen oder auch Kommilton:innen, insbesondere die Beziehungsebene zwischen ihnen, eine elementare Rolle. „They cared more about how their peers evaluated their behavior than they cared about the teacher’s judgement.“[61]Nuthall 2002, S. 12|[62]Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen, die ich bezüglich des Themas Feedback mit Studierenden gemacht habe. Nachzulesen oben schon genannten Aufsatz „Feedback im wertschätzenden Spiegel … Continue reading

Mathetisch gesehen stellt der Raum und seine Beschaffenheit eine Tiefenstruktur des Lernens dar. Räume gibt es, anders als Orte, nicht physikalisch. Räume werden erst durch den kollaborativen Handlungsbezug existent und müssen nicht mit Orten zusammenfallen. Räume enstehen aufgrund der sozialen Handlungen und mutualen Erwartungen der Menschen in ihnen und weisen verschiedene sichtbare Ebenen auf, wie Nuthall mehrfach zeigt.[63]Nähere Begründungen sowie Definitionen habe ich im Rahmen dieser beiden Blogbeiträge vorgenommen: Der digitale Handlungsraum (Teil 1) und Handeln im Cyberspace (Teil 2). Mit der Notwendigkeit der Gestaltung der Klassenraum-Kultur und mit der Wirksamkeit der Beziehungsebene der Peers im Klassenraum belegt er aus meiner Sicht empirisch genau die soziale Raumvorstellung als wirksamen Lernfaktor, den mitunter so benannten „dritten Pädagogen“.[64]Die mehr als metaphorisch gemeinte Rede vom „Raum als 3. Erzieher“ aus der „Reggio-Pädagogik“ nimmt zumindest die architektonischen Eigenschaften, die Räume auf das … Continue reading Im Klassen- oder Seminarraum werden die Potenziale und Möglichkeiten der Lernprozesse aber erst dann real mathetisch umsetzbar, wenn die kollaborative Tiefenkomponente zum Tragen kommt.[65]In der derzeitigen Diskussion um das lebenslange Lernen und insbesondere um das informelle Lernen darin ist genau das Gegenteil der Fall. Für Graham Nuthall bedeutet das konsequenterweise, „there is a need to develop the classroom as a learning community.“[66]Nuthall 2007, S. 106

Unterricht als soziale Praxis

Pädagogische Praktiken sind auch nicht individueller, sondern kollektiver Art, denn sie brauchen beide Seiten – die Lehrer- und die Schülerseite –, um realisiert zu werden.

Walter Herzog 2013, S. 7[67]Herzog, W. (2013): Was können wir von der qualitativen Unterrichtsforschung lernen? Referat anlässlich der Tagung „Was wissen wir über Unterricht?“ der Kommission „Professionsforschung und … Continue reading

Noch einmal zurück zu John Hattie und dazu, warum er das Lernen der einzelnen Schüler:innen sichtbar machen will.[68]Vgl. hierzu auch Herzog 2013, S. 7. „Der Lehrer soll das Lernen des individuellen Schülers sichtbar machen, auch und gerade wenn es davon mehrere in der Klasse gibt.“ Aus Hatties Metaphorik des Beobachtens des individualiserten Lernens kann man ableiten, dass es ihm um eine alte didaktische Vorstellung der „Überwachung und Kontrolle“ von Lernprozessen im Sinne einer (politischen) Steuerungsmöglichkeit geht.[69]Herzog 2014, S. 140. „Beide Male begegnet uns eine Metaphorik, die in der Geschichte der Pädagogik weit verbreitet ist: die Metaphorik des Sehens, Blickens, Überschauens und – daraus … Continue reading Diese Kontrollfunktion einer Wirksamkeit kann quantitativ, weil im pädagogischen Kontext nahezu alles wirksam ist,[70]Hierzu ebenfalls sehr erhellend Herzog 2014, S. 132. „Die Notwendigkeit, eine Geschichte zu erzählen, ergibt sich für Hattie demnach aus zwei Gründen: erstens aus der Tatsache, dass es fast … Continue reading nur an den Einzelnen gemessen werden. Als generelles Bildungsverständnis einer je individuellen „Learner-Journey“ steht dies jedoch völlig konträr zu Nuthalls Ergebnissen, denn Bildung wird so zu einem „radically individualistic act“.[71]Vgl. hierzu den exzellenten Blogbeitrag „Driverless Ed-Tech: The History of the Future of Automation in Education“ von Audrey Watters aus dem Jahr 2017. Diese Art von Personalisierung der Bildung führt zu einer „selbstbezogenen Vereinzelung“ – und wird damit das Gegenteil dessen, was Wolfgang Klafki eine „substantielle Individualität“ nennt.[72]„Der Individualitätsbegriff […] wird von den klassischen Bildungstheoretikern nicht ‚individualistisch‘, als selbstbezogene Vereinzelung verstanden, er meint vielmehr immer substantielle … Continue reading

Doch nicht nur das Lernen wird zu einem vollständig individualistischen Vorgehen, auch die Lehre wird entsprechend konstruiert und didaktisch vollzogen. Am Ende geht es also darum, was derzeit in der Digitalisierungsdebatte von Bildung allgegenwärtig ist, nämlich eine personalisierte und automatisierte Lehrreise zu entwickeln.[73]Watters a.a.O. Gerade die Entwicklung des sogenannten E-Learning zeigt sehr einprägsam, was Nuthall aufgewiesen hat: Dass es entgegen dem Begriff ein E-Teaching ist, das den gleichen kulturellen und didaktischen Mythen folgt, die historisch der Lehre und des Schulunterrichts zugrunde liegen.[74]Hierzu auch Werner Sesink mit seinem Aufsatz „Grenzen des E-Learning„. In den verschiedenen Vorstellungen der Gestaltung eines „wirksamen“ Unterrichts, und von einer wirksamen Bildung allgemein, zeigen sich damit auch die Defizite und Probleme der derzeitigen bildungspolitischen Diskussionen. Darauf weist Nuthall unmissverständlich hin, wenn er betont: „As I discuss later in the book, the education system, as we currently experience it, is not set up to encourage effective teaching.“[75]Nuthall 2007, S. 38

Aus der Historie heraus ist die Pädagogik immer schon am Individuum – bzw. am Lernen des Individuums im Sinne eines psychischen Vorgangs – interessiert.[76]Vgl. hierzu Herzog 2013, S. 7 Doch sie war dabei – zumindest in den Augen der qualitativen Unterrichtsforschung, wie sie Nuthall betrieben hat – immer eine soziale Praxis. Unterricht wird gemeinsam von allen Beteiligten anhand der materialen Seite (den Inhalten bzw. dem Stoff) hervorgebracht. Aus den Praktiken heraus können reflexiv theoretische Anteile erschlossen werden, was umgekehrt nicht gilt. Deshalb ist es gerade in der pädagogischen Praxis „eine offensichtliche Wahrheit, dass Individuen nie völlig für sich stehen, sondern immer in soziale Kontexte eingelassen sind, durch die sie mehr oder weniger bestimmt werden.“[77]Rahel Jaeggi & Robin Celikates 2017.|[78]Dabei macht nicht nur für Walter Herzog den Kern der pädagogischen Praxis der oder die individuelle Lerner:in als Subjekt aus, das „gefunden“ oder „entdeckt“ werden kann.

Was ist nun, wenn die Subjekte zuallererst im Klassenraum durch die mathetische Praxis zu Subjekten werden, weil es keinen vorausgehenden und angeborenen „Kern“ in diesem Sinne gibt? Das behandelt die zentrale Frage der humanistischen Bildung, wie eigentlich Individualität und Personalität im Verhältnis zur Allgemeinheit und in Bezug auf die Inhalte zu verstehen sind.

Bild 2: Der mathetische Kern des Pädagogischen ist aus meiner Sicht die geteilte Intentionalität von Menschen. Diese Lernfähigkeit, die nach Michael Tomasello in kleinen Gruppen entstanden ist bzw. dort ihre größte Wirkung hat, ist tief in unseren biologischen Ausstattungsmerkmalen verankert.[79]Sehr plastisch beschrieben anhand der Sklera des menschlichen Auges zur Blickverfolgung. „Und so könnte es sein, dass die Möglichkeit zur Blickverfolgung in kooperativen Gruppen … Continue reading
Foto: klimkin – kids-1093758 auf Pixabay. Freie Verwendung unter den Bedingungen von Pixabay.

Der mathetische Kern des Pädagogischen

Indem das Grundelement der Sprache aber Kommunikation, wechselseitige Mitteilung ist, verweist das Moment der lndividualitätsbildung auf die Vermittlung mit seiner polaren Entsprechung: Gemeinschaftlichkeit, zwischenmenschliche Beziehung. Herausbildung von Individualität, von personaler Einmaligkeit ist im Bildungsprozeß also gerade nicht in der Isolierung der einzelnen von den anderen möglich, sondern in der Kommunikation mit ihnen, in der sie sich als individuell herausbilden, in die sie sich in ihrer Individualität einbringen und sich darin wechselseitig anerkennen.

Wolfgang Klafki 2007, S. 26[80]Hervorhebung im Original kursiv. Wolfgang Klafki beschreibt hier aus seiner Sicht den klassischen humanistischen Bildungsbegriff. Klafki, W. (2007): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. … Continue reading

Der didaktisch den derzeitigen Tiefenstrukturen des Lernens zugrunde liegende Mythos einer Individualität als angeborenem Kern von Menschen, wie er auch in der Diskussion um Intelligenzfaktoren präsent ist, erweist sich mathetisch als eigentliches Problem.[81]An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf meinen Beitrag zum Thema eines kollaborativen Intelligenzfaktors hier verweisen. Graham Nuthall weist nicht ohne Grund darauf hin, dass es beim Lernen im Klassenraum gerade nicht um angeborene, sondern um im kollaborativen Kontext erworbene Fähigkeiten geht.[82]„This is not because they learn more quickly or more efficiently, but rather that because of their cultural backgrounds, their interests and motivations, and their skills in managing their … Continue reading Das größte Problem ist also, dass sich derzeit alle Diskussionen auf die systematisch vereinzelten Lerner:innen beziehen – und damit das Gegenteil von Communitybuilding und auch das Gegenteil effektiven Lernens bedeuten.[83]„In einem beispiellosen Ausmaß hat sich der Homo sapiens daran angepaßt, in Gruppen kooperativ zu handeln und zu denken; und in der Tat sind die beeindruckendsten kognitiven … Continue reading Wie quer das deshalb auch zum klassisch humanistischen Bildungsbegriff steht, soll das einführende Zitat von Wolfgang Klafki zeigen.

Bereits die Sinnhaftigkeit des zu Lernenden für die Einzelnen kommt erst durch eine kollaborative Bedeutungsaushandlung zustande.[84]Vgl. hierzu Stalder 2007, S. 128: Bedeutung entfaltet sich „nur intersubjektiv. Sie kann zwar von einer einzelnen Person behauptet werden, aber andere müssen sie bestätigen, damit sie Kultur … Continue reading Was Graham Nuthall und sein Team über die qualitative Studien dagegen immer wieder zeigen konnten ist, dass Menschen auch im Klassenraum bis in die „unscheinbarsten Gesten […] durch die Menschen, mit denen wir zusammenleben und an denen wir uns orientieren, geprägt“ sind.[85]Rahel Jaeggi & Robin Celikates (2017): Einführung in die Sozialphilosophie, 35 % im E-Book. Der wirksame Hebel sind die Peers und die „semiprivate“ Welt der Beziehungen, „in which students establish and maintan their social roles and status“[86]Nuthall 2007, S. 84. Der mathetische Kern des Pädagogischen liegt aus meiner Sicht deshalb gerade nicht in einer Lernreise der individuellen Lerner:innen, sondern im kollaborativen Social Learning rund um die Peers.[87]Das gilt für mich ganz besonders für den Bereich der Erwachsenenbildung, in dem es dringend anderer Kursdesigns bedarf, die genau darauf aufbauen.

Dass Graham Nuthall immer wieder auf die Peers und darauf verweist, dass der Lernprozess innerhalb der Spezies Mensch im Prinzip immer gleich ist, hat einen Grund, den Michael Tomasello theoretisch als geteilte Intentionalität beschreibt[88]Abschließend und sehr ausführlich in Tomasello, Michael (2020): Mensch werden. Eine Theorie der Ontogenese. Frankfurt: Suhrkamp. und den die Gruppendynamik wissenschaftlich über das Vorgehen in Form von Feedback fruchtbar gemacht hat.[89]Luft, Joseph (1991): Einführung in die Gruppendynamik. Frankfurt: Fischer Mathetisch gesehen gibt es eine fundamentale Doppelbewegung des Lernens als Auseinander-Setzen der Individuen mit Inhalten und des darauf folgenden Zusammen-Denkens bzw. kollaborativen Aushandelns der Bedeutung. Für Lernende bedeutet das, dass sie beim Lernen jeweils gemeinsame Ziele und das kollaborative Vorgehen genauso vor Augen haben, wie sie ihre jeweils individuelle Rolle oder Aufgabe darin mit den anderen klären[90]„Obwohl es Situationen gibt, in denen sich sowohl Schimpansen als auch kleine Kinder hilfsbereit zeigen, gibt es eine spezielle Form des Helfens, die nur bei Menschen vorkommt: das Weitergeben … Continue reading. Das ermöglicht es mathetisch nicht nur, zu verstehen, wie die jeweils anderen in ihren Rollen auf das gemeinsame Ziel hin „justiert“ sind, es bietet auch die Möglichkeit eines Blicks auf die objektiven Gegebenheiten und die Auseinandersetzung mit den Lerninhalten.

Nachtrag am 28.09.2023

Hartmut von Hentig zur Mathetik

Ich habe diesen Blogeintrag nicht ohne Grund mathetische Begründungen getauft. Die Mathetik als Wissenschaft des Lernens ist mir schon länger ein Anliegen. Im entsprechenden Wikipedia Eintrag stehen die Herkunft des Wortes und auch der Umstand, dass ihn Hartmut von Hentig für die deutsche pädagogische Debatte wiederentdeckt und verwendet hat. Nun habe ich endlich die Quelle dazu erworben und ein wenig rein gelesen.[91]Hartmut von Hentig (1985): Wie frei sind freie Schulen? Gutachten für ein Verwaltungsgericht. Es ist tatsächlich total spannend, was er dazu schreibt. Ein zentrales Zitat möchte ich hier aber gerne und unterstützend zum Beitrag anbringen:

Mathetik, das sei hier wiederholt, ist eine notwendige Korrektur des gedankenlos verabsolutierten Prinzips der Didaktik: daß Lernen durch Belehrung geschehe. Jedes didaktische System ist darauf angewiesen, dass der Schüler lernen will und sich das Lernen zur eigenen Sache zu machen trachtet; jedes mathetische System vollzieht sich in einer dafür hergestellten oder ausgewählten Umfeld, von der man sich eine belehrende Wirkung für die Schule erhofft.

Hartmut von Hentig 1985, S. 28[92]a.a.O.

Interessant finde ich auch, in welchem Zusammenhang er den Begriff der Mathetik stark machte. Es geschah im Rahmen eines Gutachtens für ein Verwaltungsgericht, in dem er einer privaten freien Alternativschule[93]Freie Schule Frankfurt, FSF etwas attestierte, wahres den öffentlichen Schulen aus seiner Sicht mittlerweile oft fehlte. Ohne dabei allerdings das Prinzip der Privatschulen insgesamt gut zu heißen. Kapitel 3 des Gutachtens widmet sich dem “ besonderen pädagogischen Interesse“ (der Kinder), unter Punkt 3.3 geht es um die „Verwirklichung des […] Interesses: eine Mathetik.“ Hier listet er auf, wie sich eine Mathetik konkret aus Sicht von Lerner:innen darstellt.

„Es wäre kein Schaden, wenn man an diesen Sätzen begriffe, daß der Unterschied zwischen dem guten Didaktiker und dem guten Mathetiker in der Praxis so groß nicht ist, wohl aber in der Absicht und damit in der langfristigen Wirkung„.

Hartmut von Hentig 1985, S. 85; Hervorhebung im Original kursiv.

Nachtrag vom 10.02.2024

Ich habe mich nun auch bei diesem Blogbeitrag dazu entschieden, ihn als Preprint zu verfassen und über mein Profil auf ResearchGate zur Verfügung zu stellen. Das war wider Erwarten doch einiges an Arbeit, was insbesondere das adäquate Formatieren des Literatur- und Medienverzeichnisses betraf. Aber auch die richtige Zuordnung der Fußnoten und eine leichte textliche Anpassung dauerten auch hier eine Weile. Inhaltlich habe ich am Beitrag nichts verändert. Der Preprint soll das Thema einer echten Mathetik – gegenüber der Didaktik – stärker in den allgemeinen Fokus des Lehrerhandelns, nicht nur meinem eigenen, zu rücken. Ein angenehmer Nebeneffekt auch dieses Preprints ist, dass ich einen eigenen DOI bekommen habe. Hierüber ist der Preprint aufzurufen: DOI = 10.13140/RG.2.2.34210.61126

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Der spannende Aufsatz mit dem Titel „The Cultural Myths and the Realities of Teaching and Learning“ kann hier heruntergeladen werden. Er ist erschienen in: New Zealand Annual Review of Education Vol. 11 (2001), S. 5 – 30.
2 Dabei handelte es sich um den sehr erhellenden Aufsatz des Schweizer Pädagogen und Psychologen Walter Herzog aus dem Jahr 2014 mit dem Titel „Weshalb uns Hattie eine Geschichte erzählt. Oder: Ein missglückter Versuch, den Erkenntnisstand der quantitativen Unterrichtsforschung zur Synthese zu bringen„. In: ZISU (Zeitschrift für interpretative Schul- und Unterrichtsforschung) Jg. 3/2014, S. 130–143.
3 Hier ist das Originalzitat, das mich inspirierte: „This myth deals with the problem that learning is invisible and cannot be seen in the activity of the teacher or student.“ Graham Nuthall (2005): The Cultural Myths and Realities of Classroom Teaching and Learning: A Personal Journey, S. 922.
4 Zumindest nicht in der deutschen auch nicht in der englischen Wikipedia.
5 Eher schon zu einigen seiner Ergbnisse, weil die Aufsätze zum Teil verfügbar sind.
6 Das mache ich vor allem anhand von zwei Werken: 1. Aus dem Aufsatz „The Cultural Myths and the Realities of Teaching and Learning“ aus dem Jahr 2002 und 2. dem Buch „The hidden Lives of Learners“ aus dem Jahr 2007.
7 Es handelt sich dabei um Studientexte des Studienverbundes BASA-Online. Text 1 (O 10.4.2) trägt den Titel „Bildung für Erwachsene und ältere Menschen. Analoge Herausforderungen, digitale Chancen und vielfältige Kooperationsmöglichkeiten“, Text 2 (O 9.4.2) setzt sich mit Methoden und Instrumenten der Erwachsenenbildung auseinander.
8 Gruppe ist bekanntlicherweise nicht gleich Gruppe, insofern geht es mir tatsächlich um den gruppendynamischen Zusammenhalt, der sich erst im Laufe einer gewissen Zeit tatsächlich entwickeln kann. Das habe ich auch in meinem Aufsatz zum Thema „Feedback im wertschätzenden Spiegel der Anderen“ für das neue Handbuch Hochschullehre (2021) zur Grundlage gemacht.
9 Von seinen Ausführungen und Aufsätzen bin ich immer sehr inspiriert worden.
10 a.a.O.
11 Nuthall 2002, S. 5.
12 So beispielsweise Ulrich Trautwein, Anne Sliwka & Alexandra Dehmel (2018): Grundlagen für einen wirksamen Unterricht. Wirksamer Unterricht – Band 1.
13 Hier das Originalzitat: „In order to manage a class of 25 to 35 students, all of whom have different knowledge, skills, interests and motivations, teachers have to focus on the performance of the class as a whole“ (Nuthall 2002, S. 8 & S. 12).
14 a.a.O., S. 7
15 An dieser Stelle möchte ich auf den Blogbeitrag verweisen, den ich gemeinsam mit Siegfried Lautenbacher zur Kollaboration geschrieben habe und der den Titel „Grammatik der Regeln einer digitale Zusammenarbeit“ trägt und sich aus einer Perspektive der Zusammenarbeit darauf bezieht.
16 Nuthall 2007, S. 37
17 A.a.O.
18 Im amerikanischen werden sie „learning types“ genannt. Auch hier gibt es „visual“ (visuelle), auditory (auditive), und kinesthetic (haptische) Lerner:innen. Sehr schön widerlegt das Maike Looß in ihrem Text „Lerntypen? Ein pädagogisches Konstrukt auf dem Prüfstand„.
19 Meine eigenen Auseinandersetzungen habe ich beispielsweise in diesem Aufsatz ausführlicher beschrieben.
20 2007, S. 34
21 Gerade mit diesem Thema habe ich mich hier in diesem Blog schon sehr ausführlich beschäftigt.
22 Ein sehr schönes Beispiel, wie Lernende Testfragen beantworten, und wie vor allem die Testfragen formuliert werden, damit sie antworten können, findet sich im Buch (2007) auf S. 44.
23 Nuthall 2007, S. 30 & S. 29
24 „Knowledge is not tiny bits that we can count and represent by numbers, but a network of logically interconnected ideas, beliefs, and generalisations sturctured so it can be searched and used to work out and evaluate new ideas“ (a.a.O., S. 50).
25 „Direct recall is rare“ (a.a.O.).
26 Begrifflich war microlearning ohnehin immer falsch, weil er sich – ähnlich wie Begriff E-Learning – eigentlich auf das Lehren bezogen hat und eigentlich Micro-Teaching heißen müsste, das es ebenfalls nicht gibt.
27 „In the realities of the classroom, methods do not exist“ (Nuthall 2007, S. 32).
28 Herzog, W. (2013): Was können wir von der qualitativen Unterrichtsforschung lernen? Referat anlässlich der Tagung „Was wissen wir über Unterricht?“ der Kommission „Professionsforschung und Lehrerbildung“ der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft an der Goethe Universität Frankfurt am Main.
29 Dass das menschliche Langzeitgedächtnis so nicht aufgebaut ist, noch gar das Arbeitsgedächtnis so funktioniert, legt Nuthall in einem eigenen Kapitel (Kapitel 3) in seinem Buch (2007) anhand verschiedener anschaulicher Interviews mit Studierenden dar.
30 Das gilt vor allem für die gesamte Ratgeberliteratur, die genau deshalb unwirksam ist. Hierzu sehr schön und aufschlussreich Nicole Becker (2006): Die neurowissenschaftliche Herausforderung der Pädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt; Buch verfügbar unter https://www.pedocs.de/volltexte/2012/5580/pdf/Becker_2006_Neurowissenschaftliche_Herausforderung_D_A.pdf
31 Hierzu auch in Übereinstimmung Elsbeth Stern (2015): Lernen heißt Wissen konstruieren: Kommentar zu Alexander Renkl. In: Psychologische Rundschau Nr. 66; Heft 4/2015, S. 226 – 228; hier S. 226.
32 Nuthall 2007, S. 26.
33 a.a.O., S. 52
34 Malte Brinkmann bezeichnet Lernen unter einer leiblichen Perspektive als „Entzugsphänomen“, das sich zunächst auch „der bewussten, willentlichen und absichtlichen Einflussnahme“ entzieht. Vgl. hierzu Brinkmann, Malte (2020): Preprint von „Lernen. Pädagogischer Grundbegriff“, S. 9.
35 Trautwein, Sliwka & Dehmel 2018, S. 7
36 Nuthall 2007, S. 63. Darunter sind jedoch keine simplen tutoriellen Wiederholungen oder Übungen wie Hausaufgaben zu verstehen, wie Nuthall mehrmals betont. Es geht um jeweils unterschiedliche Perspektiven auf den Lerngegenstand bzw. „three complete sets of relevant information“ (a.a.O., S. 73).
37 „If this does not occur, the new experience is treated as just another version or aspect of a known concept and is aborbed into it, or is simply forgotten“ (a.a.O.).
38 a.a.O., S. 81
39 „They need opportunities to come at the material in differne ways“ (a.a.O).
40 Nuthall 2007, S. 36
41 Das deckt sich gut mit den Untersuchungen von Adreas Gruschka in seinem Buch „Präsentieren als neue Unterrichtsform. Die pädagogische Eigenlogik einer Methode“ aus dem Jahr 2008. Opladen: Barbara Budrich.
42 a.a.O., S. 38; Ich selbst bevorzuge hierbei den Begriff der Selbstbestimmung, nicht der Selbstorganisation.
43 Renkl, A. (2015): Drei Dogmen guten Lernens und Lehrens: Warum sie falsch sind. In: Psychologische Rundschau Nr. 66, Heft 4/2015, S. 211 – 220
44 Trautwein, Sliwka & Dehmel 2018, S. 2
45 Vor allem ist das für mich ein Thema des Corporate Learning, also des Organisationslernens, wie ich es in verschiedenen Aufsätzen und Blogs schon näher ausgeführt habe.
46 Die Grafik ist angelehnt an Trautwein, Sliwka & Dehmel 2018, S. 6.
47 Weshalb Nuthall und sein Team die Untersuchungen auch immer im Klassenraum durchführten.
48 „Vielmehr versuche ich in den verschiedensten Zusammenhängen zu zeigen, daß die Vorstellung, man könne etwa durch Lehrpläne, Lehrstrategien, didaktische Zurüstungen die Lernprozesse eindeutig vorausplanen, also Bedingungen herstellen, unter denen den Betroffenen nichts anderes übrigbleibt, als in der gewünschten Weise zu lernen, eine Fiktion darstellt. Klaus Holzkamp (2008): Wider den Lehr-Lern-Kurzschluß, S. 31.
49 Walter Herzog im Aufsatz „Als ob sich Lehren und Lernen regulieren ließen“ 2022, S. 9.
50 „Er [der/die Schüler:in] interpretiert den Lerninhalt auch als seine Lernerwartung im Unterricht und er bezieht ihn dabei auf seine bereits vorhandenen Kenntnisse, aber auch Schwierigkeiten mit der Sache“; Andreas Gruschka (1996): Didaktische Bilder als Bilder der Didaktik, S. 59.
51 Vgl. hierzu auch meine Überlegungen bezüglich der Intelligenztests und dessen, was sie messen.
52 „Much of this ‚working with our mental model‘ occurs through language, an internal version of language, or talking to oneself“ (a.a.O., S. 74).
53 Für das schulische Lernen, bzw. das verordnete Lernen allgemein weist Klaus Holzkamp über die allgegenwärtigen Lernwiderstände auf, dass es sich hier um eine rein defensives Lernen handelt. Sehr schön zeigt er das in seinem Aufsatz „Lehren als Lernbehinderung“ auf.
54 „As we build up experience of the world around us, we construct a model of that world that allows us to deal with it in our minds without having always to deal with it physically through trial and error“. S. 74
55 Hannah Arendt hat das für mich in der „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ (2003, S. 218) auf den Punkt gebracht, wenn sie sagt: „Wortloses Handeln gibt es streng genommen überhaupt nicht, weil es ein Handeln ohne Handelnden wäre.“
56 Kaur, B. (2012): Introduction in Understanding Teaching and Learning: Classroom Research Revisited.
57 Vgl. hierzu sehr schön Werner Sesinks Aufsatz zur Pädagogik als einräumender Praxis aus dem Jahr 2014.
58 Faulstich, Peter & Haberzeth, Eric (2010): Aneignung und Vermittlung an lernförderlichen Orten. Theoretische Begründung und exemplarische Analysen von Lernorten. In: Zeuner, Christine (Hrsg.): Demokratie und Partizipation. Beiträge der Erwachsenenbildung. Nr. I/2010, S. 58 – 79, S. 64.
59 Vgl. hierzu auch den aktuell passenden und gleichnamigen Aufsatz von Christian Kühn aus dem Jahr 2022.
60 Vgl. hierzu Uta Hauck-Thum & Michael Kirch (2019): Studie zur aktuellen Umsetzung des Münchner Lernhauskonzepts an vier Grundschulen in München. „Herkömmliche Vorstellungen von Schule und Unterricht erschweren die sinnvolle Nutzung des Lernhauses“ (S. 18).
61 Nuthall 2002, S. 12
62 Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen, die ich bezüglich des Themas Feedback mit Studierenden gemacht habe. Nachzulesen oben schon genannten Aufsatz „Feedback im wertschätzenden Spiegel der Anderen“. Erschienen im NHHL Nr. 103/Dezember 2021.
63 Nähere Begründungen sowie Definitionen habe ich im Rahmen dieser beiden Blogbeiträge vorgenommen: Der digitale Handlungsraum (Teil 1) und Handeln im Cyberspace (Teil 2).
64 Die mehr als metaphorisch gemeinte Rede vom „Raum als 3. Erzieher“ aus der „Reggio-Pädagogik“ nimmt zumindest die architektonischen Eigenschaften, die Räume auf das Lernvermögen von Menschen haben, ernst. Entscheidend sind aber tatsächlich die Sozialbeziehungen, die Räume erst zu Räumen machen.
65 In der derzeitigen Diskussion um das lebenslange Lernen und insbesondere um das informelle Lernen darin ist genau das Gegenteil der Fall.
66 Nuthall 2007, S. 106
67 Herzog, W. (2013): Was können wir von der qualitativen Unterrichtsforschung lernen? Referat anlässlich der Tagung „Was wissen wir über Unterricht?“ der Kommission „Professionsforschung und Lehrerbildung“ der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft an der Goethe Universität Frankfurt am Main.
68 Vgl. hierzu auch Herzog 2013, S. 7. „Der Lehrer soll das Lernen des individuellen Schülers sichtbar machen, auch und gerade wenn es davon mehrere in der Klasse gibt.“
69 Herzog 2014, S. 140. „Beide Male begegnet uns eine Metaphorik, die in der Geschichte der Pädagogik weit verbreitet ist: die Metaphorik des Sehens, Blickens, Überschauens und – daraus abgeleitet – der Überwachung und Kontrolle.“
70 Hierzu ebenfalls sehr erhellend Herzog 2014, S. 132. „Die Notwendigkeit, eine Geschichte zu erzählen, ergibt sich für Hattie demnach aus zwei Gründen: erstens aus der Tatsache, dass es fast nichts gibt, was pädagogisch nicht wirkt – auch und gerade im Lichte der über 800 Metaanalysen, die Hattie ausgewertet hat. Zweitens aufgrund der schieren Fülle an Effekten, die durch die Metaanalysen aufgedeckt werden.“
71 Vgl. hierzu den exzellenten Blogbeitrag „Driverless Ed-Tech: The History of the Future of Automation in Education“ von Audrey Watters aus dem Jahr 2017.
72 „Der Individualitätsbegriff […] wird von den klassischen Bildungstheoretikern nicht ‚individualistisch‘, als selbstbezogene Vereinzelung verstanden, er meint vielmehr immer substantielle Individualität, ist durch die Beziehung des Individuellen zum Allgemeinen charakterisiert“ (Klafki 2007, S. 26).
73 Watters a.a.O.
74 Hierzu auch Werner Sesink mit seinem Aufsatz „Grenzen des E-Learning„.
75 Nuthall 2007, S. 38
76 Vgl. hierzu Herzog 2013, S. 7
77 Rahel Jaeggi & Robin Celikates 2017.
78 Dabei macht nicht nur für Walter Herzog den Kern der pädagogischen Praxis der oder die individuelle Lerner:in als Subjekt aus, das „gefunden“ oder „entdeckt“ werden kann.
79 Sehr plastisch beschrieben anhand der Sklera des menschlichen Auges zur Blickverfolgung. „Und so könnte es sein, dass die Möglichkeit zur Blickverfolgung in kooperativen Gruppen entstand, in denen es für alle von Vorteil war, den Aufmerksamkeitsfokus der anderen zur Lösung gemeinsamer Aufgaben im wahrsten Sinne des Wortes im Auge zu behalten“ (Tomasello, M. (2010): Warum wir kooperieren. Frankfurt: Suhrkamp, S. 66).
80 Hervorhebung im Original kursiv. Wolfgang Klafki beschreibt hier aus seiner Sicht den klassischen humanistischen Bildungsbegriff. Klafki, W. (2007): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik. Weinheim: Beltz
81 An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf meinen Beitrag zum Thema eines kollaborativen Intelligenzfaktors hier verweisen.
82 „This is not because they learn more quickly or more efficiently, but rather that because of their cultural backgrounds, their interests and motivations, and their skills in managing their social relationships, they create more learning experiences for themselves“ (Nuthall 2007, S. 103). Vgl. dazu auch das phänomenale Werk „Der falsch vermessene Mensch“ von Stephen Jay Gould 1981.
83 „In einem beispiellosen Ausmaß hat sich der Homo sapiens daran angepaßt, in Gruppen kooperativ zu handeln und zu denken; und in der Tat sind die beeindruckendsten kognitiven Leistungen von Menschen […] nicht Produkte allein handelnder, sondern gemeinsam agierender Individuen“ (Tomasello 2010, S. 13; Hervorhebung im Original).
84 Vgl. hierzu Stalder 2007, S. 128: Bedeutung entfaltet sich „nur intersubjektiv. Sie kann zwar von einer einzelnen Person behauptet werden, aber andere müssen sie bestätigen, damit sie Kultur werden kann. Deshalb ist das eigentliche Subjekt der Kulturproduktion unter den Bedingungen der Digitalität nicht der Einzelne, sondern die nächstgrößere Einheit“.
85 Rahel Jaeggi & Robin Celikates (2017): Einführung in die Sozialphilosophie, 35 % im E-Book.
86 Nuthall 2007, S. 84
87 Das gilt für mich ganz besonders für den Bereich der Erwachsenenbildung, in dem es dringend anderer Kursdesigns bedarf, die genau darauf aufbauen.
88 Abschließend und sehr ausführlich in Tomasello, Michael (2020): Mensch werden. Eine Theorie der Ontogenese. Frankfurt: Suhrkamp.
89 Luft, Joseph (1991): Einführung in die Gruppendynamik. Frankfurt: Fischer
90 „Obwohl es Situationen gibt, in denen sich sowohl Schimpansen als auch kleine Kinder hilfsbereit zeigen, gibt es eine spezielle Form des Helfens, die nur bei Menschen vorkommt: das Weitergeben notwendiger Informationen“ (Tomasello 2010, S. 26). Vgl. hierzu auch ausführlich Tomasello 2020.
91 Hartmut von Hentig (1985): Wie frei sind freie Schulen? Gutachten für ein Verwaltungsgericht.
92 a.a.O.
93 Freie Schule Frankfurt, FSF