„Ein wichtiger Faktor dabei ist Bildung, denn auf eine bestimmte Art und Weise entfremdet Bildung viele Menschen von ihren natürlichen Talenten. Und menschliche Ressourcen sind wie Rohstoffe; sie sind oftmals tief vergraben. Man muss nach ihnen suchen“.
Diesmal bringt mich der weiter unten eingebundene TED Talk von Sir Ken Robinson zum Blogeintrag. Ich wurde ja schon Fan von ihm, als ich den brillanten Talk „Wie Schulen Kreativität zerstören“ gesehen hatte. [1]Das Zitat entstammt dem deutschen Transkript, das hier hinterlegt ist. Es kommt etwa bei Minute 04:00 vor. Hier geht es zum Talk „How Schools kill creativity„. In diesem Talk setzt er sich auch (wieder) damit auseinander, warum das im Rahmen der Industrialisierung eingeführte Schulsystem, trotz Reformen, nicht dazu geeignet ist, menschliche Kreativität und Vielfalt zu fördern. Sondern das Gegenteil zu produzieren: „Linearität“ und ein sehr eingeschränktes Verständnis von Talent und Begabung. Das hat mich so sehr an das Projekt „Chancengleichheit in der Begabtenförderung“ der Hans-Böckler-Stiftung erinnert, dass ich dazu etwas schreiben will. [2]Das Programm unterstützte „Stipendiatinnen und Stipendiaten mit Zuwanderungsgeschichte und diejenigen, die als erste in ihrer Familie studieren“. Hierzu gehört auch eine … Continue reading Vor allem will ich das mit meinen Erfahrungen während der Ausbildung zum Diversity-Coach verknüpfen [3]Hier geht es zu meinem Erfahrungsbericht, den ich gemeinsam mit Ferdinand Haerst als „Abschlussarbeit“ geschrieben habe. und dabei zugleich mit dem allgemeineren Ansatz, Diversity als zentrale Ressource in der Bildung zu sehen, verbinden. Genauer will ich darauf hinweisen, dass sich die Lehr- und Lernprozesse, insbesondere im universitären Kontext, zum Teil radikal ändern müssen, will man diesen Schatz heben. Andererseits wird hier mittlerweile das Thema Diversity als (gesellschaftliche) Ressource diskutiert. Dabei zeigt sich diese Entwicklung im Alltag vieler Unternehmen schon lange als Herausforderung. Doch leider gibt es auch hier bisher nur vereinzelte Antworten auf diese gesellschaftliche Herausforderung. Und das im doppelten Wortsinn: Vereinzelt bezogen auf die Zahl der Unternehmen, vereinzelt aber auch als verbreitete Einstellung, dass das ein „Problem“ – oder auch eine Ressource – des oder der Einzelnen ist.
Inhalt
Coaching oder: „Personale Diversity“
Ist Coaching nicht an sich divers? Oder ist umgekehrt der Begriff Diversity im Coaching „aufgehoben“? Diese Frage beschäftigte mich – und die Teilnehmer*innen im Rahmen der Ausbildung zum Diversity-Coach – von Anfang an und auch während der gesamten Ausbildung. Ich denke, dass diese berechtigte Frage tatsächlich darauf zurückzuführen ist, dass sowohl der Begriff Diversität, als natürlich auch der Begriff eines Coachings alles andere als klar und eindeutig definiert sind. Insofern beginne ich mit dem, was ich unter Diversity verstehe. Bzw. was auch der Impetus der Ausbildung bei der Hans-Böckler Stiftung war. Von der Entstehungsgeschichte her kommt der Diversity Begriff aus dem Bereich der interkultureller Problemstellungen. Diversität steht dabei zumeist „für die Herstellung von Chancengleichheit von Gruppen, die nach bestimmten Merkmalen benachteiligt werden.“ [4]Wikipedia, Diversität. Stand am 05.11.2014. Mittlerweile werden folgenden Dimensionen beim Thema Diversity betrachtet: Kultur oder Ethnie, Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung, … Continue reading Coaching dagegen bedeutet normalerweise Beratung bei der Entwicklung von persönlichen Zielen, Unterstützung bei deren eigenständigen Umsetzung und schließlich kritische Reflesion auf die Ursprungsvorhaben nach den Maßnahmen.
Gruppenbezogene Diversität
Die Entstehungsgeschichte des Begriffs ist zugleich auch ein erstes großes Problem, denn normalerweise wird in den Diskussionen dazu Diversity auf kulturelle Unterschiedlichkeit zurückgeführt. [5]„Vom ursprünglichen Begriff ausgehend (Diversity / Diversität = Unterschiedlichkeit, Vielfalt, Heterogenität) wird der Begriff in den meisten Kontexten zunächst unter Migrations- oder … Continue reading Das konnte von Anfang an bei der besonderen Zielgruppe der Stipendiat*innen der Hans-Böckler-Stiftung nicht funktionieren. Und tatsächlich: Im Rahmen unserer Coachings „spielte dieser Hintergrund im weiteren Verlauf keine Rolle“ [6]a.a.O. Da aus unserer Sicht der multikulturelle Kontext der Teilnehmenden keinen Anlass darstellte, besondere Anliegen zu formulieren oder spezielle Themen zu bearbeiten, haben wir ihn darauf bezogen, dass es auch eine intrakulturelle Diversity mindestens dergestalt gibt, dass
- sowohl der Zugang zum Studium über den zweiten Bildungsweg, als auch
- fehlende Voraussetzungen für ein Studium oder gar
- schlechte Rahmenbedingungen (nach Selbsteinschätzung durch die Teilnehmen)
ein Diversifizierungskriterium darstellen. Diversität hat insofern auch viele gruppenbezogene und nicht nur multikulturelle Gesichter. Gleichzeitig stellen diese unterschiedlichen Kriterien eine enorme Ressource, zumindest für die Betroffenen, dar. Denn sie ermöglichen es, Tatsachen und Sachverhalte auf eine andere Weise zu interpretieren (Reframing), oder sich auf unkonventionellen Wegen Hilfe zu verschaffen. „Wissen Sie, ich glaube, dass menschliche Gesellschaften von Talent-Vielfalt abhängen, nicht von einer einzigen Vorstellung von Fähigkeit. Und die zentrale Herausforderung […] ist die Wiederherstellung unserer Vorstellung, was Fähigkeit und Intelligenz bedeutet“. [7]Transkript des Talks von Sir Ken Robinson, Minute 10:45.
Weg von einer „industriellen“ Bildungsorganisation …
Da hat Sir Ken Robinson schon recht: Die gesamte Organisation der Bildung in den industrialisierten Staaten beruht auf ihrem industriellen Prinzip. Es war das Prinzip, unter dem es etabliert wurde und es ist das Prinzip das, trotz vielfacher Reformen, weiterhin das strukturgebene Organisationsprinzip darstellt. Und eine Reform setzt eigentlich nur etwas Bestehendes fort. Eine Transformation oder gar Revolution dagegen wird von der starken Pfadabhängigkeit und den Denkgewohnheiten der Menschen verhindert. Deshalb glaube ich nicht, dass eine Revolution automatisch andere Ergebnisse zeigen würde. Zu sehr wirkt auch in einem solchen Fall die Pfadabhängigkeit von Gedanken und Ideen den gesellschaftlichen Entwicklungen an. [8]„Das große Problem bei der Reform oder der Transformation ist die Tyrannei des gesunden Menschenverstands, Dinge, von denen Menschen denken, ‚Das kann gar nicht anders gemacht werden, … Continue reading Eine reale Veränderung schwebt mir persönlich eher im Sinne von Hegels Dialektik vor. Wenn er von einer „Aufhebung“ verschiedener Verhältnisse spricht, dann meint er damit sinngemäß, dass die guten Anteile erhalten bleiben soll, die problematischen Entwicklungen dagegen überwunden und auf eine höhere Ebene gestellt werden.
[ted id=865]
Das ist der Talk, der Anlass dieses Blogbeitrags war (CC 3.0 – BY-NC-SA). [9]Das folgende Zitat entstammt ebenfalls dem deutschen Transkript, etwa bei Minute 05:00. „Innovationen sind schwierig, denn sie bedeuten, dass man etwas tut, was die meisten Menschen nicht gerade leicht finden. Man muss dafür Dinge, die wir als selbstverständlich hinnehmen, infrage stellen, Dinge, die wir für offensichtlich halten.“
… zu einer prozessualen Diversity!
Unvermeidlich scheint in diesem Kontext zu sein, dass sich sofort der Management Gedanke aufdrängt. So gibt es mittlerweile doch eine erkleckliche Anzahl von Büchern zum Thema Diversity-Management. [10]Es wäre eine eigene Thematik sich damit auseinanderzusetzen, inwiefern das überhaupt wie intendiert funktioniert, was die jeweiligen Autoren so schreiben. Mir persönlich geht es aber nicht um ein Management von Diversity im Sinne beispielsweise einer möglichst problemreduzierenden Umgangsweise. Denn ich bin der festen Meinung, dass Diversity schon alleine deshalb, weil es um Andersartigkeit – im Vergleich zum „Normalstatus“ – geht, zu Konflikten führen wird. Der dialektische Ansatz von Hegel bietet demgegenüber den Vorteil, die einzelnen Diskussionen und auch konkreten Projekte als Ansatz zu nehmen, insgesamt eine innovative Veränderung der Strukturen von Organisationen zu erreichen. Gerade wenn man Diversity nicht (nur) als persönlichere Ressource betrachtet, sondern auch als einen Gewinn für die jeweilige Organisation, wird es beispielsweise wichtig, mit den sich zeigenden Konflikten adäquat umzugehen. Denn die Unterschiedlichkeit löst sich eben selten in Harmonie oder in reine WIN-WIN-Situationen auf. Diversity ist in den Lehr- / und Lernprozessen dann ein Gewinn, wenn genau das deutlich und zugelassen wird. Genauso wie wiederum die entstehenden Konflikte positiv im Sinne eines Lern- und Bildungsprozesses genutzt werden können. Parallel dazu müssen zuverlässige Konfliktregulierungsmechanismen etabliert werden. [11]Das ist auch mein Ansatz bezüglich des Themas „Demokratiekompetenz in Unternehmen“. Hierzu habe ich hier und hier schon etwas publiziert und hier einen anderen Blogbeitrag verfasst.
Ein in meinen Augen sehr schöner Ansatz dies innerhalb von Hochschulen und Universitäten, sowie natürlich auch in Unternehmen und Organisationen zu leben sind „Diversity Incidents“. [12]Hier gibt es den Programmflyer zu Ansätzen „diversitätsorientierter Beratung und Begleitung in Studium und Lehre“ an der FH Köln im September 2014. Diversity Inzidenz zum Anlass zu nehmen, als Organisation daraus zu lernen, und die verschiedenen Beteiligten in Gespräch zu bringen, kann in meinen Augen genau das bewirken: Diversity als gemeinsame Ressourcen zu sehen und „prozessual“ zu nutzen. Wenn das erfolgreich ist, dürfte der Gewinn für alle Beteiligten enorm sein und dazu befähigen, die oft tief vergrabenen Ressourcen als Rohstoff, beispielsweise für Innovationen, zu verwenden.
Anmerkungen
↑1 | Das Zitat entstammt dem deutschen Transkript, das hier hinterlegt ist. Es kommt etwa bei Minute 04:00 vor. Hier geht es zum Talk „How Schools kill creativity„. |
---|---|
↑2 | Das Programm unterstützte „Stipendiatinnen und Stipendiaten mit Zuwanderungsgeschichte und diejenigen, die als erste in ihrer Familie studieren“. Hierzu gehört auch eine wissenschaftliche Begleitung, in deren Rahmen die Publikation „Begabtenförderung und Bildungserfolg“ entstanden ist. |
↑3 | Hier geht es zu meinem Erfahrungsbericht, den ich gemeinsam mit Ferdinand Haerst als „Abschlussarbeit“ geschrieben habe. |
↑4 | Wikipedia, Diversität. Stand am 05.11.2014. Mittlerweile werden folgenden Dimensionen beim Thema Diversity betrachtet: Kultur oder Ethnie, Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung, Religion und Weltanschauung. |
↑5 | „Vom ursprünglichen Begriff ausgehend (Diversity / Diversität = Unterschiedlichkeit, Vielfalt, Heterogenität) wird der Begriff in den meisten Kontexten zunächst unter Migrations- oder Genderaspekten subsumiert“ hatten Ferdinand Haerst und ich in unserer Arbeit dazu geschrieben (S. 4). |
↑6 | a.a.O. |
↑7 | Transkript des Talks von Sir Ken Robinson, Minute 10:45. |
↑8 | „Das große Problem bei der Reform oder der Transformation ist die Tyrannei des gesunden Menschenverstands, Dinge, von denen Menschen denken, ‚Das kann gar nicht anders gemacht werden, denn so wird es ja schließlich gemacht.'“ a.a.O., Minute 05:00. |
↑9 | Das folgende Zitat entstammt ebenfalls dem deutschen Transkript, etwa bei Minute 05:00. |
↑10 | Es wäre eine eigene Thematik sich damit auseinanderzusetzen, inwiefern das überhaupt wie intendiert funktioniert, was die jeweiligen Autoren so schreiben. |
↑11 | Das ist auch mein Ansatz bezüglich des Themas „Demokratiekompetenz in Unternehmen“. Hierzu habe ich hier und hier schon etwas publiziert und hier einen anderen Blogbeitrag verfasst. |
↑12 | Hier gibt es den Programmflyer zu Ansätzen „diversitätsorientierter Beratung und Begleitung in Studium und Lehre“ an der FH Köln im September 2014. |