Demokratiebildung im Netz

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Erfahrungsbericht eines reinen Onlineseminars für Multiplikator:innen des bvv im Sommer 2020.

Von Ruth Jachertz und Alexander Klier

Diesen Erfahrungsbericht haben wir ursprünglich für die Ausgabe Nummer 44 des Magazins Erwachsenenbildung.at geschrieben. Aufgrund der vielen Einsendungen zu der speziellen Ausschreibung hat es der Beitrag leider nicht in das Magazin geschafft. Da die Rückmeldung aber dennoch sehr positiv war, haben wir uns entschieden, ihn an dieser Stelle und als Blogbeitrag auf meiner Seite zu veröffentlichen. Wir bilden ihn weitgehend so ab, wie wir ihn eingereicht hatten. Am Ende gehen wir auch auf die Anregungen aus dem Peer-Review Verfahren ein, das normalerweise zu einer Nachbesserung geführt hätte. [1]Aufgrund der zahlreichen Einsendungen wurde für diese Ausgabe darauf verzichtet, Nachbesserungen einzufordern. Es gab, nach den Angaben der Herausgeber, einfach zu viel Material für diese Ausgabe.

Das final eingereichte Dokument gibt es als PDF auf ResearchGate. Dort ist es unter dem DOI (Digital Object Identifier) 10.13140/RG.2.2.10250.24002 aufzurufen und herunterzuladen.


Eine Ausschreibung des Bayerischen Volkshochschulverbandes (bvv) zu neuen Kursangeboten der politischen Bildung Ende 2019 [2]Im Rahmen der Förderung von Projekten zur politischen Bildung in Bayern. brachte uns, Ruth Jachertz und Alexander Klier, zusammen. Mein Vorschlag, sich mit der politischen Bildung auch im digitalen Raum auseinanderzusetzen, stieß bei Ruth auf großes Interesse. Von der rein praktischen Seite her war es ebenfalls unproblematisch, das Seminar schnell auf die Beine zu stellen.

Als wir uns im Dezember 2019 erstmalig für die Planungen des Blended-Learning Seminars „Demokratiebildung im Netz“ getroffen haben, hatten wir allerdings noch keine Vorstellung davon, was uns bezüglich dieses Seminars wirklich erwarten würde. Von Corona hatten wir zwar schon gehört, aber das hatte irgendetwas mit China zu tun. In der Planungsphase jedenfalls haben wir noch diskutiert, ob wir wohl genügend Teilnehmer:innen für das Seminar gewinnen würden können.

Dieses Bild haben wir als Erkennungsbild bzw. Profilbild des Seminars verwendet. Es sollte symbolisieren, dass die Kernidee des Seminars die ist, politische Debatten nicht analog auszutragen (wie im Bild), sondern im Netz zu organisieren und zu führen. Ganz ähnlich wie es darum gehen sollte, politische Bildung und Demokratiebildung im Netz – so auch der Titel des Seminars – zu vollziehen.
Bild (auch Beitragsbild): Fred Barnard – Discussing the War in a Paris Café. Verwendung als gemeinfreie Datei. Verfügbar auf den Wikimedia Commons.

Zielstellung, Vorbereitung und theoretische Basis

Zunächst planten wir erst einmal aus der Notwendigkeit heraus, dass die politische Erwachsenenbildung in Zukunft nur dann erfolgreich sein wird, wenn sie es schafft, digitale Angebote im Netz zur Verfügung zu stellen, anstatt nur immer über das Netz und seine politischen Implikationen zu reden.

Neben dieser Grundidee verfolgen wir noch einen zweiten Zweck: die Möglichkeiten der noch relativ neuen vhs.cloud sollte den Volkshochschulen näher gebracht werden. Die Multiplikator:innen, die wir für das Seminar gewinnen wollten, sollten also auch lernen, wie man mit verschiedenen Instrumenten umgehen muss, damit der Lernprozess über eine digitale Plattform funktioniert.

Auf der theoretischen Ebene planten wir das Seminar im Sinne eines Social Learning bzw. digitalen Stuhlkreises (siehe hierzu Klier 2015 & 2016). Im Kern besteht die digitale Transformation von Bildungsprozessen dabei nicht im Einsatz von E-Learning oder auch der Anwendung von digitalen Plattformen, sondern in der grundlegend neu zu denkenden Art, wie durch diese Werkzeuge Lernprozesse reflexiv und partizipativ angelegt werden können (vgl. hierzu Kerres 2017 & 2020).

Besonders für die politische Erwachsenenbildung gilt, dass sich Form und Inhalt decken müssen. D.h., dass die Teilnehmer:innen grundsätzlich Mitgestaltungsmöglichkeiten haben müssen. Bei den Planungen hatten wir ursprünglich zusätzlich einen fixen organisatorischen Rahmen zu beachten: Als Maximalgrenze für den „digitalen“ Anteil galt zu dieser Zeit 75 Prozent der Gesamtzeit eines Seminars. Erst aufgrund der Pandemie konnten schließlich alle Seminareinheiten digital umgesetzt werden.

Umsetzung als reines Onlineseminar mit Zoom und der vhs.cloud

In der ursprünglichen Blended-Learning Version planten wir zwei längere analoge (klassische) Treffen, ein Treffen über ein Videokonferenzsystem sowie zwischendrin längere Phasen (jeweils ca. 2-3 Wochen) der Zusammenarbeit über die vhs.cloud. Insbesondere die Auftaktveranstaltung sollte in einem Bildungszentrum mit einer Übernachtung stattfinden. Damit sollte die Gruppe zusammenwachsen können.

Der Vorbereitung diente das speziell dazu produzierte Einführungsvideo (siehe unten). Es sollte sowohl den Ablauf und die Inhalte darstellen, damit die potentiellen Teilnehmer:innen einschätzen konnten, worauf sie sich einlassen würden. Die zweite Idee des Einführungsvideos war die, neue Referentinnen und Referenten zu gewinnen und für diese Form von Seminaren zu interessieren. Insofern war das Seminar offen, es mussten also nicht bereits aktive Dozent:innen der Volkshochschulen vor Ort sein.

Speziell für dieses Seminar habe ich ein etwa achtminütiges Einführungsvideo produziert, das zum einen die Inhalte darstellen sollte, zum anderen aber auf das neue und andere Format – und seine Schwierigkeiten – hinweisen sollte. In der Version, in der es auf YouTube zur Verfügung steht, gingen wir noch von einer Blended-Learning Konzeption aus.

Die Folgen des ersten Lockdowns

Dann kam Corona mit voller Wucht. Mit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 wurden unsere Planungen insofern infrage gestellt, als wir uns nicht mehr wie geplant in Face-to-Face Begegnungen treffen konnten. Dennoch hielten wir sowohl an den geplanten Terminen, als auch den Inhalten und im Prinzip auch am gesamten Ablauf fest. Das Einzige, was wir quasi neu justierten, war, dass die analogen Präsenztreffen nun im virtuellen Raum stattfinden sollten. In unserem Fall entschieden wir uns für Zoom, [3]Die Alternative war die in die vhs.cloud integrierte Videoplattform Edudip. Diese konnte aber zum Zeitpunkt unseres Seminars noch keine Arbeitsgruppenräume abbilden. damit wir Arbeitsgruppen (Breakout Sessions) durchführen konnten.

Die Pandemie und der Lockdown zeigten für uns am Ende erst einmal ziemlich positive Seiten: Dadurch, dass quasi über Nacht alle irgendwie gezwungen waren, Arbeiten und Lernen auf oder in Distanz zu organisieren, hatten wir den erfreulichen Effekt, dass sich tatsächlich 24 Kolleg:innen, darunter einige Leiterinnen regionaler Volkshochschulen, anmeldeten.

Im Rahmen der ersten virtuellen Präsenzsitzung nahmen zwar nicht ganz so viele teil, dennoch ist der Kurs – ganz offensichtlich wegen Corona – sehr gut und mit ausreichend Teilnehmer:innen gestartet. Die meisten Multiplikator:innen hatten zum Start am 15. und 16. Mai 2020 bereits erste Erfahrungen mit Videokonferenzsystemen, am Ende haben wir mit etwa 14 aktiven Personen geendet. Von 10 Teilnehmer:innen wurde auch ein Konzept erstellt und gemeinsam diskutiert sowie adaptiert. Soweit zur Statistik.

Der Ablauf als Onlineseminar

Es war in der Tat erst einmal nicht allzu schwer, die Blended-Learning Konstellation auf ein reines Onlineseminar umzustellen. Wir gingen nach dem ursprünglichen Plan vor, der sich folgendermaßen darstellte:

  1. Nach einer längeren Einführung, die wir an einem Freitagnachmittag und Samstagvormittag über Zoom abwickelten, und der im Wesentlichen das beinhaltete, was wir auch analog gemacht hätten, [4]Abgebildet ist der genaue Ablauf über die zwei Präsentationen zum Freitag und Samstag hier. kam es zu einem ersten Gruppenauftrag, der zum gemeinsamen Lernen über die vhs.cloud führen sollte.
  2. Inhaltlich sollte dabei das Netz als Informations- und Handlungsraum erkundet werden. Die Organisation in Form von Lernarbeitsgruppen war unser Schlüssel dazu, dass insbesondere die asynchrone Phase über die vhs.cloud mit einer entsprechenden Motivation und Unterstützung abgewickelt werden konnte.
  3. Im ersten Zwischentreffen nach drei Wochen asynchronen Lernens trafen wir uns zu einer kürzeren Zwischensitzung wieder auf Zoom. Hier sollten die Ergebnisse der Projektaufträge vorgestellt und diskutiert werden können. Ebenfalls ging es darum, auf diese erste asynchrone Phase zu reflektieren und die Erfahrungen aufzubereiten.
  4. Die zweite asynchrone Phase wurde didaktisch ebenfalls über Projektaufträge und Arbeitsgruppen organisiert. Nun sollte es darum gehen, das Politische der sozialen Medien und digitalen Netzwerke zu erfassen. Gleichzeitig sollten die Ergebnisse so aufbereitet werden, dass sie auf der vhs.cloud – in Form einer gemeinsamen Definition des Kurses – zur Verfügung standen.
  5. Unmittelbar darauf ging es mit einer weiteren asynchronen Phase weiter, d. h., es gab kein virtuelles Präsenztreffen zum Abgleich der Ergebnisse. Didaktisch gesehen bestand der letzte Projektauftrag über die vhs.cloud in einer Einzelarbeit. Aus dem bisher Gelernten und Erarbeiteten sollten konkrete Konzepte erstellt werden. Die entwickelten Konzepte sollten in der letzten geplanten virtuellen Präsenzsitzung vorgestellt werden.
  6. Den Abschluss bildete ein letztes Treffen über Zoom, das relativ ausschließlich von den Teilnehmer:innen gestaltet wurde. Im Fokus standen dabei zwei Dinge, nämlich eine Reflexion auf die Erfahrungen während der zwei vollvirtuellen bzw. asynchronen Phasen des Lernens über die vhs.cloud sowie die Vorstellung der erarbeiteten Konzepte die als direkte Angebote der Demokratiebildung im Netz in den regionalen Volkshochschulen umgesetzt werden sollten.
  7. Zu all diesen Phasen liegen sowohl die Aufträge, als auch die hinterlegten Medien und Reflexionen in Form eines Materialbandes vor (Jachertz & Klier 2020), der nach dem Seminar noch erstellt bzw. eigentlich zusammengestellt worden ist.

Das Kurswiki der vhs.cloud sollte im Seminar aktiv genutzt werden. Deshalb war es Teil der Projektaufträge, beispielsweise um die Ergebnisse der Arbeitsgruppen abzubilden. Es hat nur sehr sporadisch funktioniert, das Wiki tatsächlich zu nutzen. Das größte Handikap dabei war allerdings nicht die technische Funktionalität, sondern die vollkommen andere Vorgehensweise beim kollaborativen Erstellen von Texten. Dafür spricht auch, dass viele Ergebnisse ursprünglich in einem Word oder PDF Dokument hochgeladen worden sind.

Erfahrungen und Problemstellungen

Als Pilotseminar hat der Kurs stattgefunden und als solches war er auch erfolgreich. Gleichzeitig zeigten sich einige Problemstellungen, die zu reflektieren notwendig sind, um künftig ähnliche Kursangebote erfolgreich zu lancieren. Beginnen wollen wir zunächst einmal mit einer sehr persönlichen Einschätzung der Erfahrungen von uns beiden als Treiber und Akteure dieses Kursangebotes.

Erfahrungen der Kursleitung (Alexander)

Die für mich prägendste und auch positivste Erfahrung war die, dass der Kurs überhaupt stattfand. Nicht nur das: dass der Kurs mit eine Anzahl von Teilnehmer:innen gestartet ist, die es möglich machte, mit verschiedenen mathetischen Konstellationen zu experimentieren. Neu für mich war dabei vor allem der Umstand, dass die Teilnehmer:innen freiwillig dabei waren. Das sind zwar formal auch die Studierenden in meinen Seminaren, dennoch ist es für diese eben Teil ihres Studiums, für das sie entsprechende Zeiten aufwenden müssen.

Sehr positiv angetan war ich auch von der Offenheit und dem Interesse, das alle Teilnehmer:innen zeigten. Das hat es sehr erleichtert, bereits in der einführenden Sitzung auf die Ebene gleichgestellte (Peers) zu wechseln, wofür nicht nur das angebotene Du stand. Es ist nicht nur meine Erfahrung, sondern auch meine feste Überzeugung, dass Angebote der Demokratiebildung im Netz nur dann fruchtbar sein werden, wenn es gelingt, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Dazu habe ich vielfach geschrieben und meine Überlegungen auch in einem eigenen Blogbeitrag hinterlegt (vgl. hierzu Klier 2018 & 2020).

Völlig unterschätzt habe ich wiederum, wie erklärungsbedürftig gerade die Phasen der Zusammenarbeit über die vhs.cloud sind. Hierbei geht es nicht nur um zeitliche Probleme und Terminierungen, sondern beispielsweise auch um die Frage, warum das Verwenden kollaborativer Tools, wie beispielsweise eines Wikis, notwendige Bedingung eines sozialen Lernprozesses sind und was vor allem den Unterschied des gruppenbasierten Lernens im Vergleich zu individuellen Lernformaten, wie sie – vor allem als Vorträge (wahlweise auch Videos) – üblicherweise in der Erwachsenenbildung angeboten werden, ausmacht.

Aus meiner Perspektive hat hier die Idee, diese Facetten quasi implizit mitzulernen und zu reflektieren, nicht (optimal) funktioniert. Was darauf hinweist, dass dies ein eigener Lernschritt ist, der auch explizit thematisiert werden muss, damit er erfolgreich stattfinden kann. Am Ende aber war ich über das Seminar und seinen Verlauf sehr glücklich. Bei allem Stress, den es tatsächlich in der Betreuung für mich bedeutete, war es ein äußerst gelungenes Experiment. Mein Dank gilt hier insbesondere Ruth, die mir als Sparringspartnerin – unauffällig, aber beharrlich – immer zur Seite stand.

Erfahrungen der Organisatorin und Teilnehmerin (Ruth)

Ich war einerseits Organisatorin des Seminars, andererseits auch normale Teilnehmerin. Dieser Wechsel hat prima geklappt, wir haben als Gruppe sehr gut zusammengearbeitet. Die größte Überraschung war für mich, wie schnell und gut auch über digitale Veranstaltungen eine tolle Gruppendynamik, getragen von Respekt, Humor und Neugier auf die anderen Teilnehmer:innen entstehen konnte. Dazu hat auch die Arbeit in den Kleingruppen beigetragen.

Eine Herausforderung war es, die Zeit zur Bearbeitung der Aufgaben zu finden. Das vorgeschlagene Material war so umfangreich, dass es fast abschreckend wirkte. Es hat mich einige Stunden gekostet, zu merken, dass es wirklich nur Anregungen und Vorschläge sind und ich mich nicht durch das gesamte Material ackern muss. Diese Erkenntnis, wie sehr ich davon geprägt bin, dass alles was die Kursleitung einstellt, gelesen werden muss, hat mich wirklich beschäftigt.

Den Kolleg:innen in meiner Arbeitsgruppe ging es genauso und wir sind daher für unsere eigenen Kurskonzepte zum Schluss gekommen, dass es für den Einstieg in unser neu geplantes Seminar sinnvoll ist, erst mal nur weniger Material zur Verfügung zu stellen und ganz generell auf die Vorerfahrung der Teilnehmer:innen zu setzen, die Frontalunterricht geradezu erwarten. Das Hinführen zum kollaborativen Arbeiten in der Gruppe erfolgt hier vielleicht besser in kleinen Häppchen.

Ein schöner Nebeneffekt des Seminars war, dass ich sehr viel über den Einsatz von Online Tools gelernt habe. Die Kombination aus thematischer Beschäftigung und dem parallelen Erfahren und Reflektieren, welche Tools für welche didaktischen Zwecke gut funktionieren, ist bei mir super aufgegangen. In den Worten einer Kollegin: „Das war für mich die Initialzündung mich an digitale Angebote heranzutrauen.“

Allgemeine Problemstellungen

Neben dem guten Gefühl, dass das Seminar insgesamt gesehen sehr erfolgreich gelaufen ist und auch eine entsprechende Teilnehmer:innen Zahl aufzuweisen hatte, gab es ein paar Problemstellungen, die wir gerne reflektieren möchten, weil sie wahrscheinlich auf grundlegendere Schwierigkeiten einer digitalen politischen Erwachsenenbildung hinweisen.


Obiger Screenshot zeigt über die Blogbeiträge die Vielfältigkeit der behandelten Themen im Seminar. Was tatsächlich optimierungsfähig ist, das ist die Möglichkeit, wie über soziale Medien – in diesem Beispiel eben Blogbeiträge – kommuniziert und diskutiert wird. Leider gab es im Kursverlauf wenig asynchrone Interaktionen. Vieles wurde in den wenigen Stunden der synchronen Videokonferenzen diskutiert. Der virtuelle Raum könnte also noch wesentlich besser genutzt werden.

Das Problem mit der Zeit

Bereits nach der ersten asynchronen Phase auf der vhs.cloud wurde deutliche Kritik daran formuliert, dass der Projektauftrag zu umfangreich sei bzw. die Zeit für eine anständige Bearbeitung nicht ausreichend gewesen wäre. Das gelte insbesondere für diejenigen unter den Teilnehmer:innen, die berufstätig sind und speziell in unserem Fall häufig besonders gefordert waren, das regionale Kursprogramm auf Onlinebetrieb umzustellen.

Diese Wahrnehmung und Kritik zog sich durch den ganzen Kurs und letztlich stellte sich heraus, dass die Teilnehmer:innen, die ja ihrerseits im Regelfall selbst Seminare organisieren, zum einen den realen Zeitaufwand für das Lernen systematisch unterschätzt hatten und es zum anderen genau dadurch für sie schwierig war, die notwendigen Zeiten in den Alltag zu integrieren.

Am Ende ist es möglicherweise eine Übungssache bzw. eine Sache der Gewohnheit, virtuelle Termine oder Aufträge, die eben nicht im analogen oder virtuellen Präsenztreffen erledigt werden, ebenfalls zu terminieren und mit entsprechenden Zeitfenstern im beruflichen oder sonstigen Alltag zu versehen. Genau dabei sollte eigentlich auch die Gruppenarbeit helfen.

Letztlich führte das Zeitproblem dazu, dass am Ende nur noch vierzehn Teilnehmer:innen (von 24 angemeldeten) den Kurs aktiv beendeten. Aber immerhin: es ist eine deutlich höhere Quote als beispielsweise die mittlerweile häufig eingesetzten MOOCs aufweisen. Mutmaßlich liegt das daran, dass der prozessuale Seminarcharakter, wie ihn beispielsweise Wochenseminare eines Bildungszeitseminars („Bildungsurlaub“) haben, weitgehend erhalten blieb.

Gerade unter den zeitlichen Aspekten besteht dennoch ein erheblicher Entwicklungsbedarf für die politische Bildung, insbesondere dann, wenn es um die Anerkennung als Lernzeiten oder auch Bildungsurlaub (Bildungszeiten) gehen wird.

Ungewohnte Gruppenarbeit

Mehr wie deutlich geworden ist auch, dass das Thema Gruppenarbeit bzw. das Lernen in Peer-Gruppen im Bereich der Erwachsenenbildung enormes Potenzial hat, um es positiv auszudrücken. Unsere Teilnehmer:innen jedenfalls hatten den Anspruch, alle Texte selbst zu lesen. Da dies erheblich Zeit in Anspruch nahm, kamen sie im Regelfall nicht wirklich dazu, sich in den Lernarbeitsgruppen darüber auszutauschen und Positionen zu formulieren, die die Gruppe trägt oder die sich auch in einer gemeinsamen Definition niederschlagen.

Aus unserer Sicht ist das spiegelbildlich das Verständnis politischer Erwachsenenbildung allgemein, das sich sehr auf die Individuen fokussiert und diesen möglichst viele Inhalte (Argumente) liefern will. Vielfach bestehen die angebotenen Formate schließlich darin, Fachvorträge anzubieten oder auch Diskussionen mit Expert:innen (Podiumsdiskussionen) zu organisieren.

Dass erst die Diskussion in den Peer-Gruppen es ermöglicht, die Inhalte zu verarbeiten und einzuordnen ist bisher eine eher unterbelichtete Dimensionen. Auch dass die Gruppenarbeit dabei helfen kann, die eigenen Kompetenzen bestmöglich einzusetzen – und zugleich die Verlässlichkeit der Erledigung von Aufgaben zu gewährleisten – ist im Bereich der digitalen politischen Erwachsenenbildung ausbaufähig.

Dabei ist nach unserer Überzeugung die Arbeit in Peer-Gruppen, deren Ergebnisse Teil des Seminargeschehens werden, bereits ein wichtiger politischer, weil partizipativer, Akt einer Seminargestaltung, die Inhalt und Form von Demokratiebildung zusammenbringen kann.

Reden über das Netz statt Handeln im Netz

Dem entspricht am Ende, dass die allermeisten vorgestellten Konzepte der Teilnehmer:innen wieder Konzepte waren, in denen über das Netz geredet wird. Organisiert als Veranstaltungen der Aufklärung beispielsweise in Bezug auf Medienkompetenz und Mediendidaktik. Mit einem sehr starken Bezug auf Expert:innen, die die Veranstaltung lenken. Nur ganz selten geplant wurde, die Veranstaltungen tatsächlich im Netz zu organisieren, d.h. Zentrum der Konzepte waren wieder die regionalen Volkshochschulen und gewohnten Veranstaltungsformate.

Die Seite der Lernenden zu betrachten, oder gar politisch Interessierte in einem Austausch auf Augenhöhe mit einzubinden, ist durch die meistenteils frontale Konstellationen (Präsentationen) mindestens schwierig. Das ist (leider) eine Tradition, die die allermeisten MOOCs fortsetzen, weil sie Informationsmängel bei den Teilnehmer:innen vermuten und diesen an allererster Stelle abhelfen wollen. Neben dem Problem, dass die hochskalierbaren MOOCs meist tatsächlicher Möglichkeiten ermangeln, den Austausch untereinander und mit den Kursleiter:innen als echten Dialog zu organisieren.

Fazit

Es bleibt zu hoffen, dass dieses Beispiel zeigt, dass auch längerfristig angelegte Lernprozesse, die Angeboten gleichen, welche bisher Bildungsurlaubsmöglichkeiten vorbehalten waren, im Rahmen der digitalen politischen Erwachsenenbildung stattfinden können. Mit der Chance, Gruppen zu bilden und sich über die sozialen Netzwerke weiter politisch auszutauschen und zusammenzuschließen. Um schließlich die politische Erwachsenenbildung gemeinsam und solidarisch, statt individuell und heroisch, im Netz zu etablieren.


Ergebnis des Peer-Reviews

„Positiv angemerkt wurde […] die Authentizität des Beitrags und dass er in sich schlüssig und nachvollziehbar ist. Besonders für Praktiker*innen wäre er bestimmt ansprechend, da er auch sehr gut zu lesen ist. Zusätzlich fand das Thema an sich sowie die aufgestellten Thesen grundsätzlich großen Anklang.“

Eine genauere Nachfrage ergab folgende Präzisierungswünsche: „Mehrere Gutachter*innen haben allerdings angemerkt, dass keine Zielgruppe für den Kurs beschrieben wurde. Außerdem fehlte ihnen der konkrete Inhalt, also eine Information darüber, wovon der Kurs gehandelt hat. Somit bleiben die Lehr-/Lernziele und der Kurs an sich eher im Dunkeln und nach Ansicht des Gremiums nur vage nachvollziehbar. Außerdem hätte sich der Fachbeirat im Fazit noch eine reflexive Vertiefung gewünscht.“

Für eine Überarbeitung des Beitrags hätten wir noch folgendes nachgeliefert:

  1. Die Zielgruppe war nicht so eindeutig definiert, wie es üblicherweise der Fall ist, weil es sich um ein Projekt gehandelt hat, das auch zum Ziel hatte, mehr aktive Referent:innen für die regionalen bayerischen Volkshochschulen zu bekommen, die Onlineangebote umsetzen wollen. Sie war deshalb nicht auf bereits aktive Referenten der Volkshochschulen begrenzt und so kam es, dass sowohl Referent:innen der gewerkschaftlichen politischen Bildungsarbeit mit teilgenommen haben, als auch Teilnehmer:innen aus anderen Bundesländern und von anderen politischen Organisationen.
  2. In diesem Kurs gab es auch keine klassischen Lehr- und Lernziele, eher Vorhaben wie Projektaufträge, die wir mathetisch umsetzen wollten. [5]Hier exemplarisch der Übergangsauftrag von der ersten längeren virtuellen Präsenzsitzung hin zur Arbeit auf der vhs-cloud in Projektgruppen. Dennoch denken wir, dass wir ausreichend beschrieben haben, um was es im Kurs gehen sollte und was wir, auch der Reihe nach, konkret gemacht haben. Dieser Kritikpunkt könnte durchaus den Anlass geben, eine reflexive Vertiefung im Fazit anzufügen. An dieser Stelle wollen wir es dabei belassen, dass, je mehr die Teilnehmer:innen am Kurs geschehen teilhaben sollen, was auch bedeutet, den Kurs inhaltlich mit zu prägen, desto weniger kann mit Lehr- und Lernzielen gearbeitet werden. Es bleibt dann bei einer groben Bestimmung, wie wir sie im Text versucht haben zu verdeutlichen.

Insofern war dieses Seminar tatsächlich auch ein Ausdruck dessen, was sich in der digitalen Transformation von Bildung abzeichnet: dass eine starke Zentrierung auf die Lehrziele der Referent:innen und die Lehrpläne der jeweiligen Organisationen wenig zielführend für eine partizipativen Konstruktion von Seminaren der politischen Bildung bzw. von Demokratiebildung im Netz ist. Vielleicht hätte diese Klarstellung ein anderes Ergebnis im Sinne einer Publikation im Magazin bedeutet.

Die Autor:innen des Beitrags

Ruth Jachertz

Ruth Jachertz ist seit 2017 Referentin im bayerische Volkshochschulverband für die Programmbereiche Gesellschaft und Kultur. Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist es, die Volkshochschulen dabei zu unterstützen, Projekte und Lehrangebote im Bereich der Demokratiebildung umzusetzen. Der Übergang in die erste (bezahlte) Berufstätigkeit vor zwanzig Jahren war fließend – von der ehrenamtlichen Seminarleitung zur Festanstellung in der politischen Jugendbildung. Und sie stellt fest: Je mehr man pädagogische Fachkraft heißt, desto weniger pädagogische-didaktische Arbeit leistet man tatsächlich. Daher freut sie sich immer wieder, wenn sie selber konzeptionell, pädagogisch und didaktische arbeiten kann.

Alexander Klier

Dr. Alexander Klier ist Lehrbeauftragter an der Hochschule München und Social Learning Consultant bei der Skaylink GmbH. Erwachsenenbildung ist eine biografische Konstante von ihm, die sich durch alle bisherigen Beschäftigungen zieht. Im Zusammenhang mit der Beschäftigung beim DGB Bildungswerk Bayern bis 2013 war er auch als Vertreter in der AGEB (Arbeitsgemeinschaft der Erwachsenenbildungsträger in Bayern) tätig.

Alexander hat mit einer technischen Ausbildung begonnen, um über das Studium der Philosophie die Erwachsenenpädagogik auch theoretisch zu fundieren. Seine Begeisterung für die Technik und die Affinität zu digitalen Medien hat bei ihm schon sehr früh zu Lern- und Seminarangeboten im Blended-Learning Format, oder gestützt auf digitale Plattformen wie moodle, geführt. Aktiv ist er auch über die sozialen Medien, insbesondere Twitter (@alexanderklier), zu erreichen.

Der wissenschaftliche Ansatz ist ihm seit seinem Studium geblieben, weshalb er sowohl über seine eigene Webseite Erfahrungen des digitalen Lernens mitteilt, als auch in Fachpublikationen dieses Thema vorantreibt (bspw. Grundlagen der Weiterbildung – Praxishilfen oder Neues Handbuch Hochschullehre). Ein großer Teil davon kann über diese Webseite unter Publikationen heruntergeladen werden.


Literatur bzw. Medien

Klier, A. (2015): Social Learning. Eine Lerntheorie für das digitale Zeitalter. Mit didaktischen Empfehlungen. In: Grundlagen der Weiterbildung – Praxishilfen (GdW-PH), 126. Ergänzungslieferung, Juni 2015.

Klier, A. (2016): Der digitale Stuhlkreis. Über die Praxis einer partizipativen Lehr- und Lernkultur mit Social Software. Erschienen in: Grundlagen der Weiterbildung – Praxishilfen (GdW-PH), 139. Erg. Lieferung, Juli 2016.

Klier, A. (2020): Virtuelle Präsenz (Corona 1 – 3). Dreiteilige Blogreihe verfügbar unter https://www.alexander-klier.net/virtuelle-praesenz-corona-1/; https://www.alexander-klier.net/virtuelle-praesenz-corona-2/ und https://www.alexander-klier.net/virtuelle-praesenz-corona-3/

Klier, A. (o.J.): Argumentieren gegen Stammtischparolen (3.0). Eine Handreichung für das Instrument “Argumentationstrichter”.

Kerres, M. (2017): Digitale Bildungsrevolution? Ein Plädoyer für die Gestaltung des digitalen Wandels.

Kerres, M. (2020): Bildung in der digitalen Welt: Über Wirkungsannahmen und die soziale Konstruktion des Digitalen. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung 17 (Jahrbuch Medienpädagogik), S. 1 – 32.

Jachertz, R. & Klier, A. (2020): Unveröffentlichter Materialband zum Seminar Demokratie und Bildung im Netz.

Nachtrag am 25.11.2023

Ich habe den original eingereichten Text mit einer Vorbemerkung versehen, der auf das Peer-Review-Verfahren – und seinen Ausgang – hinweist. Da ich die leitende Idee, dass politische Erwachsenenbildung im Netz stattfinden muss und nicht nur über das Netz reden darf, nach wie vor für richtig und wichtig halte, habe ich den eingereichten Vorschlag über ResearchGate zur Verfügung gestellt und mit einem DOI versehen.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Aufgrund der zahlreichen Einsendungen wurde für diese Ausgabe darauf verzichtet, Nachbesserungen einzufordern. Es gab, nach den Angaben der Herausgeber, einfach zu viel Material für diese Ausgabe.
2 Im Rahmen der Förderung von Projekten zur politischen Bildung in Bayern.
3 Die Alternative war die in die vhs.cloud integrierte Videoplattform Edudip. Diese konnte aber zum Zeitpunkt unseres Seminars noch keine Arbeitsgruppenräume abbilden.
4 Abgebildet ist der genaue Ablauf über die zwei Präsentationen zum Freitag und Samstag hier.
5 Hier exemplarisch der Übergangsauftrag von der ersten längeren virtuellen Präsenzsitzung hin zur Arbeit auf der vhs-cloud in Projektgruppen.